Muncan, Ivanka

Von allen Saiten

Die Vielfalt der Gitarre im Spiegel von Gitarristen-Lebensläufen

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2017 , Seite 12

Meine Volksschullehrerin spielte weder Akkordeon noch Blockflöte. Sie spielte Gitarre. Seit dem ersten Moment, als sie das Instrument aus dem Ledersack packte, um unsere gemeinsam gesungenen Lieder zu begleiten, war ich verzaubert.

Ich war verzaubert von meiner Lehrerin, von diesem neuen Moment, in dem ich sie als Musikschaffende sah und hörte, und von der Gitarre. Ich konnte meine Augen nicht von ihren Fingern lassen. Wie konnten Finger nur in solcher Geschwindigkeit von einem Griff in den nächsten fliegen, um perfekt angeordnet, jeder in seinem Bund platziert, zu landen, obwohl alle Bünde gleich aussahen? Welcher Zauber wirkte da? Ich hätte meiner Lehrerin in meiner endlosen Bewunderung auch geheimnisvolle Zauberkräfte zugesprochen.
Und dann war da noch die andere Hand: Entweder schlug sie mit allen Fingern sehr bestimmt über die Saiten und schmückte das Lied mit einem packenden, freudigen Rhythmus, der in die Beine fuhr, oder, wie es vor allem bei ruhigeren oder weihnachtlichen Liedern der Fall war, die einzelnen Finger tanzten in einer wundersamen Choreografie über die einzelnen Saiten, um sie zärtlich in leichte, leise Schwingungen zu versetzen. Daran kann ich mich erinnern.
Meine Begeisterung dürfte meiner Lehrerin nicht entgangen sein. Sie schickte meine Eltern nach einem Elternabend mit einer dringenden Empfehlung, ein Musikinstrument zu erlernen, nach Hause: „Für Ivanka am besten die Gitarre.“
Das ist nun mehr als 30 Jahre her, und es ist nicht dabei geblieben, denn heute bin ich stolze Besitzerin von über 20 Instrumenten aus der Gitarrenfamilie: klassische Gitarren in unterschiedlichen Größen und Preiskategorien, Stahlsaitengitarren, E- und Jazz-Gitarren, eine Silent-Guitar, eine akustische Gitarre mit Cutaway und Fishman-Tonabnehmer, mehrere Ukulelen, eine Mandoline und eine Bass-Ukulele. Und ich kann nicht sagen, ob meine Sammlung schon komplett ist.
Meine Musikschulausbildung war sehr wichtig für mich und meine Entwicklung. Sie prägte neun Jahre meines Lebens. Ich hatte sehr großes Glück mit meiner Lehrerin Astrid Pirker, die mich von Anfang an perfekt förderte mit den liebevoll und intelligent ausgesuchten Stücken und dem für mich richtigen Maß an Strenge und Ernsthaftigkeit. Sie führte mich letztlich auch zum Studium, indem sie mich einerseits für die Aufnahmeprüfung an die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien vorbereitete und mir andererseits wiederholt empfahl, mein Talent in einer Berufsausbildung zu nutzen.
Die Liebe zum elektrischen Gitarren-Sound ist erst nach meiner Zeit in der Musikschule entstanden. An der Hochschule habe ich klassische Gitarre im Hauptfach und E-Gitarre als Schwerpunktfach absolviert. Zur Vielfalt der Gitarreninstrumente kam ich dann erst in meiner Rolle als Lehrerin an der Musikschule. Ich erkannte den Reichtum an verschiedensten Instrumenten als wunderbaren Schatz für meine Klasse und habe das Instrumentarium peu à peu erweitert.

Ticket in eine andere Welt

Als junge Studentin im Konzertfach Gitarre wusste ich nicht, wie man improvisiert, was ein C-Major-Akkord ist oder Ähnliches. In meinem Auslandsjahr am Conserva­toire National Supérieur de Musique et de Danse de Paris übte diese Musik jedoch einen so großen Sog auf mich aus, dass ich schon bald Stammgast bei den Jazzern im Untergeschoss des Hauses war, mir ihre Bandproben anhörte und die Pausen mit ihnen verbrachte. Ich kam auch zu ihren Jam Sessions in kleine Pariser Jazzklubs mit und naturgemäß ergaben sich auch Freundschaften. Was für eine neue Welt! Was für eine Faszination diese Vierklänge auf mich ausübten! Ein samtig weich arpeggierter C-Major-Akkord versetzte mich in Entzückung! Wie konnten die MusikerInnen so lange Stücke spielen – und zwar ganz ohne Noten?

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2017.