Schütze, Dennis

Ungebrochene Begeisterung

Dieter Kreidler über ­seinen Weg zur Gitarre und die Entwicklung der Gitarrenpädagogik

Rubrik: Interview
erschienen in: üben & musizieren 4/2017 , Seite 26

Dieter Kreidler, was hat Sie zur Gitarre hingezogen? Und wie haben Sie das Instrument erlernt? Gab es damals eine etablierte Lehrmethode für klassische Gitarre?
Meine musikalische Sozialisation fand im Elternhaus durch Hausmusik statt: Mein Vater spielte Mandoline, mein Bruder Gitarre und meine Mutter hatte eine schöne, klare Sop­ranstimme. So stand auch zunächst das Singen im Vordergrund und ich erfreute a cappella sowohl meine Eltern als auch die Nachbarn mit Volksliedern und Schlagern.
Die nächsten Stationen waren die Mitgliedschaft im Düsseldorfer Knabenchor und der Besitz einer Blockflöte, die ich recht schnell autodidaktisch zu blasen verstand. Wegen des auch damals schon erschwinglichen Kaufprei­ses für eine kleine Höfner-Gitarre beschloss der Familienrat, dass der kleine Dieter doch jetzt „richtigen“ Unterricht erhalten solle.
So ging ich mit großer Lust und regelmäßig zu einer Privatlehrerin, die Klavier (auch Harmonium), Blockflöte, Gitarre und Laute unterrichtete. Das gängige Schulwerk war die Gitarrenschule von Walter Götze, die, wie ich später erfuhr, absolut marktbeherrschend war. Ich kam schnell voran und so konnte ich nach wenigen Monaten bereits erste Solostücke spielen und beherrschte für die einfache Liedbegleitung schon einige Akkorde.
Meine Neugier für die Gitarre war vollends geweckt, als ich in einem Meisterkonzert im Robert-Schumann-Saal in Düsseldorf Andrés Segovia hörte. Das war ein musikalisches Schlüsselerlebnis: diese instrumentale Meisterschaft in der Darstellung von Kompositionen von Bach bis zur spanischen Nationalschule. Damals war der Saal mit 800 Zuhörern noch bis zum letzten Platz (auch hinter der Bühne vor der großen Orgel) gefüllt und alle lauschten dem Meister bis zu nicht enden wollenden Zugaben! Etwa zur gleichen Zeit entdeckte ich aber auch den Jazz über eine Schülerband und natürlich über Django Reinhardt, für mich der Gypsy-Virtuose.
So war der Einstieg in das Studium am Robert-Schumann-Konservatorium 1965 für mich mit einer nicht ganz unproblematischen Gratwanderung zwischen den Stilen verbunden.

Sie haben klassische Gitarre bei Maritta Kersting in Düsseldorf studiert. Wie war das Studium damals angelegt?
Maritta Kersting hatte noch Laute bei Walter Gerwig studiert und dann Gitarre bei Karl Scheit in Wien. Diese beiden herausragenden Pädagogen prägten Maritta Kerstings stilsichere musikalische Geschmacksbildung. So waren das Generalbass-Spiel und kontrapunktische Grundlagen bei Liedsätzen alter Meister noch Teil der Ausbildung und gehörten zu den selbstverständlichen Übungen und häuslichen Aufgabenstellungen.
Die spieltechnischen Grundlagen für die Gitarrenstudenten wurden bei ihr durch eine strenge, didaktisch kompetent untermauerte Systematik erreicht. Beispielsweise in der gründlichen Unterweisung der bedeutenden Lehrwerke von Emilio Pujol – neben Miguel Llobet der exponierteste Schüler von Francisco Tárrega – und natürlich der Werke von Tárrega selbst. Diese mitunter „zähen“ Studien führten mittelfristig auch für mich erlebbar zu einer wirklich unabhängigen Bedienung des Spielapparats von linker und rechter Hand. Für mein ganzes Berufsleben als Lehrer an Musikschulen und als Professor habe ich diese unverzichtbaren Technik-Bausteine schätzen gelernt und wende sie auch heute noch (mit Varianten aus eigener Spiel- und Erfahrungspraxis) an.
Das Repertoire bestand aus einem ausgewogenen Mix von stilbildenden Werken der Renaissance (John Dowland), des Barock (Johann Sebastian Bach, Silvius Leopold Weiss), schwerpunktmäßig Werke der Klassik (Fernando Sor, Mauro Giuliani, Dionisio Aguado), Etüden und Präludien von Heitor Villa-Lobos, Werke der spanischen und südamerikanischen Nationalschule (Manuel de Falla, Isaac Albeniz, Joaquin Turina, Enrique Granados, Manuel María Ponce), der Klassischen Moderne (z. B. Hans Erich Apostel) und schließlich auch aus Werken der Neuen Musik wie das Nocturnal after John Dowland op. 70 von Benjamin Britten oder auch die Drei Tentos von Hans Werner Henze.
Verglichen mit dem heutigen Notenmarkt hatten wir eine eher übersichtliche Auswahl an Originalliteratur, insbesondere einer Anfänger-Unterrichtsliteratur für die in der Regel noch jungen Einsteiger an den Musikschulen.

Kurz nach Abschluss Ihres Studiums wurden Sie zum Professor in Wuppertal berufen und haben 1977 eine zweibändige Gitarrenschule und weitere Stückesammlungen veröffentlicht. Was war Ihre Motivation? Wie waren die Reaktionen?
Damals wie heute klaffen die Erwartungen von Jugendlichen und Erwachsenen hinsichtlich der komplexen Ausdrucksformen auf der Gitarre weit auseinander. Abo- bzw. Meisterkonzerte für Gitarre mit einem anspruchsvollen klassischen Repertoire – etwa von Andrés Segovia, Julian Bream, Los Romeros, Siegfried Behrend – waren und sind die seltene Ausnahme. Infolgedessen war es gerade für mich mit meinem „Allround-Ansatz“ als angehender Gitarrenlehrer eine Herausforderung, dem sich rasch verändernden musika­lischen Zeitgeist Rechnung zu tragen und durch neue Literaturangebote auch eigene Impulse zu setzen.
So entstanden – in Notation und Fingersatz an klassischen Ausgaben angelehnt – meine ersten populären Ausgaben von Beatles-Songs, leichten Bluesstücken, schottischen Liedern und Balladen usw. Daraus resultierte dann auch der Auftrag des Schott-Verlags, die alte Götze-Schule durch ein zeitgemäßes Schulwerk zu ersetzen.
Wir sind heute weit entfernt von den damaligen, bisweilen ideologisch geführten „Schule-Kriegen“. Heinz Teuchert etwa ging in seiner bis heute weit verbreiteten Gitarrenschule auf seine Weise und auch seiner musika­lischen Sozialisation folgend einen konsequenten Weg. So erreicht er über das Er­arbeiten der I. Lage, den damit verbundenen klanglichen Möglichkeiten (leichtes Akkord-und Zerlegungsspiel) und kindgerechten Stücken frühe Erfolgserlebnisse bei Anfängern und Erwachsenen. Mein Ansatz war dagegen (wie auch schon bei Erwin Schaller und Karl Scheit) der Fünftonraum in der II. Lage. Die Muskulatur der linken Greifhand wird durch die auf allen Saitenpaaren zu realisierenden und dadurch transponierbaren Reihen konsequent ausgebildet.
Heutige, didaktisch solide Lehrwerke für Rock- und Jazzgitarre gehen ebenfalls wie selbstverständlich vom Skalenspiel ohne Leersaiten aus. Durch Transposition sind dann Bezüge zu Intervallstrukturen, zur Harmonik und zum Aufbau der Applikatur der Gitarre methodisch und handwerklich wesentlich leichter umzusetzen. Darüber hinaus führt das Spielen in der II. Lage auf gegriffenen Saiten zu einem griffökonomisch und  tonästhetisch anspruchsvollen Spielen und Hören von Anfang an (Legato-Spiel).

Seit den 1980er Jahren haben sich Spiel­niveau und Repertoire der klassischen Gitarre rasant entwickelt. Wie haben Sie diese Entwicklung empfunden?
Für mich als einer der ersten „akademisch“ agierenden Gitarrenprofessoren ist es ein Glücksgefühl, wie sich die Gitarren-Szene entfaltet hat. Hinsichtlich der ungebrochenen Begeisterung von Kindern bis zu Senioren für die Gitarre, der Literaturvielfalt, einer erfreulichen Hinwendung zum Ensemblespiel, der öffentlichen Wahrnehmung durch innovative Wettbewerbe, öffentlich geförderte Musikprojekte und der damit einhergehenden stilistisch universalen Anwendungsbreite zählt heute die Gitarre zu den beliebtesten Instrumenten weltweit!

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 4/2017.