Schneider, Hans

musizieraktionen

frei – streng – lose. Anregungen zur V/Er­mittlung experimenteller Musizier- und Komponierweisen. Mit 29 Originalbeiträgen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Pfau, Friedberg 2017
erschienen in: üben & musizieren 5/2017 , Seite 11

Sammlungen mit Modellen experimenteller Musizierpraxis und Reflexionen zu deren Vermittlung sind mittlerweile keine Rarität mehr. Hans Schneider fügt mit seinem Buch musizieraktionen den vorhandenen Materialien ein gewichtiges, umfangreiches und inhaltlich vielfältiges Werk hinzu. Der Band versammelt ein künstlerisch und didaktisch breites Spekt­rum von fünfzig Übungen und Modellen und von dreißig ausgeführten Kompositionen.
Mit dem zunächst befremdlichen Titelwort „V/Ermittlung“ bezieht Schneider sich auf Wolfgang Lessing, der im Blick auf das Erarbeiten von offenen musikalischen Ideen und Konzepten das Wort „Ermittlung“ für zutreffender hält als das übliche „Vermittlung“: Während Letzteres den didaktischen Prozess der Hinführung zu einem in der Regel fertig ausgearbeiteten Werk meint, soll Ersteres das weitgehend selbstgesteuerte und ergebnisoffene „Erforschen, Erfinden, Gestalten, Üben und Präsentieren“ der Mitwirkenden bezeichnen.
Den Übungen, Konzepten und Kompositionen vorangestellt sind prinzipielle, instruktive Ausführungen zur Arbeit mit den nachfolgenden Materialien. Sie betreffen das Verhältnis von ex­perimentellem Musizieren und Komponieren, wünschenswerte Qualitäten von Lehrenden, sinnvolle „Aufgabenstellungen und Anleitungen“, Übepraxis, die „Bedeutung von Inszenieren, Intensität, Präsenz und Gestus“ in der musikalischen Arbeit, Fragen der Leitung und die Notwendigkeit einer sorgsamen, von der Gruppe vollzogenen „Reflexion und Beurteilung“. Diese Einleitung bündelt die langjährigen, in vielen Lehrveranstaltungen, Fort­bildungen und Projekten gewachsenen Erfahrungen des Autors.
Hans Schneider bereichert seine Ausführungen duch prägnante, in roter Schrift hervorgehobene Zitate zahlreicher Autorinnen und Autoren aus diversen Disziplinen – unter anderem aus Philosophie, Musiktheorie, Erziehungswissenschaften, Musikpädagogik und nicht zuletzt von Komponisten. In diesen Textauszügen kommen vielerlei Auffassungen zum weiten Feld experimenteller Kunst zur Sprache. Schneider nimmt auf sie Bezug und leuchtet sein Gebiet in verschiedenste Richtungen aus. Ein wichtiges Anliegen ist dabei die Einbindung verschiedener Künste in das Explorieren, Experimentieren und Kreieren.
Die dem einleitenden Teil folgenden Übungen und Modelle wurden überwiegend vom Autor entwickelt, teilweise in Zusammen­arbeit mit anderen MusikerInnen. Durchweg gehen sie zurück auf Werke und Konzepte von Komponistinnen und Komponisten der Avantgarde. Schneider gewinnt aus ihnen gleichermaßen künstlerisch reizvolle wie didaktisch wohlerwogene Praxisanleitungen. Es handelt sich um „Übungen, Starters und daraus abgeleitete Anweisungen“, Aus­schnitte aus Musikstücken sowie Anleitungen und Beschreibungen von grafischen Notationen.
Alle Modelle sind offen und können „je nach Notwendigkeit verändert und in Teilen durch andere Vorschläge, Vorgangsweisen und Ideen ergänzt werden“. ­Unkommentiert wiedergegeben sind die im letzten Teil zusammengestellten Originalkompositionen von zeitgenössischen Musikschaffenden. Bei der „Vokalen Arbeit mit Zitaten von John Cage“ fehlt ein Hinweis darauf, dass das Kon­zept von Wolfgang Rüdiger stammt (Experimentelles Ensemblespiel am Beispiel Cage: Soziale Mo­delle und Versuchsanordnungen für Musik, Abschnitt „CAGE-Kärtchen-Spiel“, in: ­Rudolf-Dieter Kraemer/Wolfgang Rüdiger (Hg.): Ensemblespiel und Klassen­musizieren in Schule und Musikschule, Augsburg 2001, S. 298 f.)
In summa: Hans Schneiders Buch ist eine höchst verdienstvolle, fundierte Bereicherung der Primär- und Sekundärliteratur im Bereich experimentellen Musizierens.
Ulrich Mahlert