Harris, Paul

Der virtuose Lehrer

Ein inspirativer Leitfaden für Instrumental- und Gesangslehrer

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Faber/Edition Peters, London 2015
erschienen in: üben & musizieren 1/2016 , Seite 49

Ratgeberfans aufgepasst: Paul Harris wendet sich in seinem neuen Buch Der virtuose Lehrer an Instrumentallehrende, die Inspiration für ihren Unterricht suchen. In fünfzehn Kapiteln widmet sich der englische Klarinettist und Pädagoge Standardfragen des Instrumentalunterrichts, die von „Mit Problem-Schülern umgehen“ über „Die Unterrichts­stunde“ bis zum „In Bewegung bleiben“ reichen. Mit seinen aus Erfahrungen, Unterrichtsbeobachtungen und Gesprächen erwachsenen Erkenntnissen möchte er Lehrende anregen, enthu­siastisch, engagiert sowie positiv zu unterrichten. Dies dürfte angesichts der Strenge und Enge, in der viele Fragen beantwortet werden, schwierig werden.
Im Mittelpunkt des Buchs steht die Annahme, dass guter Unterricht eine „virtuose“ Tätigkeit der Lehrperson voraussetzt. Dies ist angesichts vielfältiger Ansprüche, die die Planung und Umsetzung von Unterricht mit sich bringt, wohl kaum zu bestreiten. Fragwürdig allerdings erscheint, ob eine solche Virtuosität in der linearen Weise zu erreichen ist, wie sie Harris vorgibt. Zahlreiche Schemata stehen der häufig postulierten Kreativität im Weg. Imperative und Superlative wie „immer noch fesselndere Methoden […] entwickeln“ engen die Lehrperson ein und reduzieren komplexe Einflussfaktoren auf scheinbar einfache Handlungsabläufe.
Unterricht lässt sich eben nicht auf „Vier p’s: Positur, Puls, Palette und Persönlichkeit“ sowie den richtigen „Lehr- und Masterplan“ reduzieren – auch wenn viele Lehrende immer wieder nach Rezepten streben. Weder Mensch noch Musik ist in dieser Weise beizukommen.
Zweifelhaft erscheint die vermeintliche Allgemeingültigkeit, mit der die persönlichen Ansichten des Autors daherkommen. Da kann auch ein Lernmodell nach Maslow keine Abhilfe schaffen – es wird heutigen Kenntnissen über das Lehren und Lernen schlichtweg nicht gerecht: Wenn ein Schüler etwas nicht kann, ist es nicht einfach damit zu begründen, dass er „einen bestimmten Aspekt in der sequenziellen Kette des Verständnisses […] versäumt hat“. Lehren und Lernen von Musik bzw. Musizieren ist und bleibt komplex, was nicht heißen soll, es kompliziert machen zu müssen. Gerade im spontanen Spüren liegt Einfachheit.
Wenn Lehrende jedoch Verhaltensgängelungen im Nacken haben, erschwert das die Sache. Die Verwendung von Adjektiven wie „schädlich“ oder „gefährlich“ (etwa zur Beschreibung von Lob) mutet trotz Anführungszeichen ideologisch an. Alternative Sichtweisen, etwa konstruktivistische, oder solche, die die Individualität der Lehrperson beachten, erhalten keinen Raum. Hier stehen zu viele Regeln, zu viel „müssen“ und „der richtige Weg“ für ein Fach, das – zumindest in Deutschland – auf eine lange Tradition blickend sagen kann: Den richtigen Weg gibt es nicht.
Katharina Bradler