Maurer Zenck, Claudia / Ivana Rentsch (Hg.)

Gut oder schlecht?

Urteil und Werturteil in der Musik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Peter Lang, Frankfurt am Main 2015
erschienen in: üben & musizieren 1/2016 , Seite 51

Schon 1970 hat Carl Dahlhaus in Analyse und Werturteil Triftiges gesagt: „Ästhetische Urteile sind durch Sachurteile fundiert, die ihrerseits von analytischen Methoden abhängig sind, in denen sich die musikalischen Anschauungsformen einer Zeit dokumentieren. Und umgekehrt sind analytische Verfahren, auch die scheinbar vorurteilslos deskriptiven, an ästhetische Voraussetzungen gebunden.“
Was damals ein Einzelner in den Fokus nahm, wurde 2013 Gegenstand einer interdisziplinären Tagung an der Universität Hamburg. Verwandte Fächer wie Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft bereicherten diesen Diskurs ebenso wie Verlags- und Kompositionspraktiker. Und so bilden die nun publizierten zehn Beiträge einen „Reigen von methodischen Über­legungen über historische Fallbeispiele bis hin zu der Frage nach dem Umgang mit zeitgenössischer Kunst“.
Aber nicht nur Dahlhaus taucht in den „Balanceakten zwischen Kunstimmanenz und kulturellem Kontext“ als Wiedergänger auf; es ist vor allem der „Geist“ von Claudia Maurer Zenck, „detail­besessene Philologin mit dem Au­ge für den ästhetischen Zu­sam­menhang“ (Matthias Schmidt), der überall spürbar wird. Ihr Aufsatz „‚Schlecht‘ oder schlecht? Verständnisprobleme“ ist denn auch der umfangreichste und komplettiert überdies am Beispiel Mozarts, Beethovens und Richard Strauss’ das Relationsgefüge zwischen Komposition und Rezeption, zwischen Zeit und Gesellschaft durch semantische Aspekte – „Inhalt“ erlangt Geltung.
Thematische Erweiterungen und Präzisierungen liefern Matthias Schmidt („Analyse und Werturteil. Anmerkungen zur Méditation von Bach/Gounod“), Ivana Rentsch („Sinn statt Verstand. Johann Mattheson und das Geschmacksurteil im 18. Jahrhundert“) und Friedrich Geiger („Kompositorische Selbstkritik“) mit ihren Darlegungen zu einer „Kunstmusikwissenschaft“, zur moralischen Dimension des „guten Geschmacks“ und zu den auslösenden Momenten kompositorischer Revisionen.
Vom schwindenden „Marktwert“ der Jenaer Sinfonie als Produkt des Kleinmeisters Friedrich Witt (und nicht des jungen Beethoven) und vom „Aufstieg“ Hans Rotts im Zuge der Mahler-Rezeption berichten Arne Stollberg und Tobias Janz. Oliver Huck und Manfred Stahnke setzen die „Außenseiter“ Satie und Cage zu Publikumserwartung und -resonanz in Bezug. Solveig Malatrait betreibt die „Anatomie eines skandalösen Erfolgs“ von Houellebecq, und Reinhard Flender bewertet Musikwerke aus Sicht des Verlegers.
Wenn der eine meint, heute lösten Parallel-Diskurse die Probleme, und der andere erkennt, dass objektive Werturteile in der Verallgemeinerung vage werden, existieren für den dritten diese nur im Plural – als Interessen von Verleger (Verkäuflichkeit), Interpret (Bravour), Hörer (Erlebnis) und Musikwissenschaftler (Sachurteil). Viel mehr Gewissheiten gibt es wohl nicht…
Eberhard Kneipel