Morandell, Robert

Herkulesaufgaben

12 + 1 Etüden auf dem Weg zum Gitarrenolymp

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Doblinger, Wien 2015
erschienen in: üben & musizieren 2/2016 , Seite 59

Es gibt ambitionierte GitarrenschülerInnen im ersten oder zwei­ten Unterrichtsjahr, bei denen man als Lehrkraft möglichst leichte Etüden einsetzen möchte, um die Entwicklung der Spieltechnik effektiver zu fördern. Es sind SchülerInnen, die Spaß daran haben, ein Stück auswendig zu lernen, es möglichst schnell zu spielen oder verschiedene Fingerkombinationen in Anschlags- und Greifhand auszuprobieren. Um diese wichtigen sportiven Elemente beim Instrumental­unterricht zu kanalisieren, fehlte bislang das passende Heft: eines, das nicht nur leichter zu spielen ist als die Etüden-Klassiker wie Hubert Käppels 33 wichtigste Gitarrenetüden für die Unterstufe oder Fernando Sors Etüden op. 60, sondern das auch einen kreativen Umgang mit Etüden aufzeigt.
Robert Morandell hat dieses Heft geschrieben. Entstanden sind 13 Etüden, die jeweils auf eine Spieltechnik konzentriert sind, sich aber trotzdem auch als Vorspielstücke eignen: Akkordzer­legungen mit leeren Saiten und Melodie im Bass, auf- und absteigende chromatische Linien auf einer Saite mit leeren Bässen im Bluesrhythmus, Bindungen abwärts auf leeren Saiten, alternierend mit leeren Bässen, etwas später Zweierbindungen aufwärts mit zwischengesetzten Bässen, die staccato zu spielen sind. Nach und nach werden die Etüden schwieriger, sodass man am Ende des Hefts mit den Etüden-Klassikern der Unterstufe weiterarbeiten kann.
Notiert sind die Stücke in Noten und in Tabulatur. Der Clou aber sind die Spielanweisungen: Jede Etüde lässt sich auf drei verschiedenen Levels spielen. Bei den Akkordzerlegungen gibt Morandell jeweils schwieriger werdende Arpeggien an, bei den regelmäßig auf- und absteigenden chromatischen Linien wird die Bewegungsrichtung verändert, bei den Bindungen abwärts schreibt er Varianten mit auf- und absteigenden Linien. Dann gibt Morandell noch bei einigen Etüden drei Bonuslevels an: auswendig spielen, im richtigen Fingersatz spielen, die Bestzeit aufschreiben. Zu jedem der insgesamt sechs Levels kann der Schüler ein Icon abhaken. Wer immer noch mehr will, hat sogar Platz, eine eigene Variante aufzuschreiben. So können Etüden Spaß machen.
Nicht immer ist sofort zu erkennen, welche Takte oder Formteile wie variiert werden können, aber auch das ist eine Herausforderung. Die Etüdensammlung als „Herkulesaufgaben“ zu titulieren, ist eine passende Idee. Aber dann jedes Stück nach einer Gestalt der griechischen Mythologie zu benennen und zwei Zeilen Einleitung mit weiteren Namen wie Klotho, Lachesis und Atropos in Etüde Nr. 3 „Die Moiren“ zu füllen, ist des Guten zu viel. Wer sich daran nicht stört, hat eine gelungene Etüdensammlung für die Unterstufe vor sich.
Jörg Jewanski