Engelhardt, Sandra

„Ich konnte das nicht üben, weil…“

Anregungen für die Erarbeitung neuer Stücke im Unterricht

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 3/2016 , Seite 30

Was für ein wunderbarer Einstieg in die Unterrichtsstunde. Freundlich aufmunternd fragt die Lehrerin: “Und, wie bist du mit dem neuen Stück zurechtgekommen?” Und dann diese Antwort: “Also, ich konnte das neue Lied nicht üben; weil…, ich wusste ja gar nicht, wie das geht!”

Ein schwer zu überhörender Vorwurf schwingt durch den Raum. Dabei enthält „das neue Lied“ keine neuen Töne, Rhythmusmuster oder sonst irgendwie geartete unbekannte Zeichen – nur eine bisher unbekannte Folge von Tönen… „Wie dreist“, mag die Lehrerin jetzt vielleicht denken, während sie Ärger oder Enttäuschung verdrängt („nützt ja nichts“). Also (mal wieder) Plan B der Unterrichtsvorbereitung. Also (mal wieder) gemeinsam im Unterricht üben, das Stück durchsprechen und hoffen, dass es nun, wo die Melodie bekannt ist, die Woche über gespielt wird, damit nicht in der nächsten Stunde (mal wieder) alles von vorn beginnt.
Noch unangenehmer für die Unterrichtsplanung wird es, wenn dieser Satz im Gruppenunterricht fällt. Was tun? Einen Schüler oder eine Schülerin „mitschleifen“ und riskieren, dass er oder sie frustriert aus der Stunde geht und die kommende Woche noch weniger Lust hat, das Stück zu üben? Oder das Stück mit allen nochmal üben und dabei riskieren, dass die gut vorbereiteten SchülerInnen sich langweilen und die kommende Woche keine Lust haben, zu Hause zu üben, weil sie das Lied ja schon können?
Im Folgenden finden Sie Ideen und Anregungen, wie das Interesse unserer Schülerinnen und Schüler für ein ihnen fremdes Stück geweckt werden kann, ohne dass es im Unterricht bereits komplett geübt wird. Diese Vorschläge unterstützen den Einstieg in das häusliche Üben und geben Ihnen zudem Gelegenheit, sich einen Eindruck davon zu verschaffen, wie Ihre SchülerInnen mit den Herausforderungen des Stücks zurechtkommen werden. Die SchülerInnen lernen Herangehensweisen kennen, die sie, als langfristiges Projekt, auf das selbstständige Erarbeiten eines Stücks vorbereiten. Diese Vorbereitungsphase kann die „Angst vor dem großen Unbekannten“ nehmen und somit zum häus­lichen Üben ermuntern. Denn „Interesse“ an einem Stück und die Bereitschaft, sich mit dem Notentext auseinanderzusetzen, gehen ja leider nicht selbstverständlich ineinander über.*

1. Ein Konzert!

Überraschen Sie Ihre SchülerInnen mit der Ankündigung, dass sie heute ein kleines Privatkonzert von Ihnen bekommen. Wie es sich für einen solchen Anlass gehört, werden Stüh­le vor einer imaginierten Bühne platziert. Sie positionieren Ihren Notenständer entsprechend. Wenn alle aufmerksam auf ihrem Platz sitzen, moderieren Sie das Stück an und spielen es in konzertanter Haltung vor (wir wollen schließlich Haltungs- und Klang-Vorbild sein!). Selbstverständlich gehören Verbeugung und Applaus dazu.
Bei einem zweiten Vorspiel-Durchgang dürfen Ihre SchülerInnen nun die Noten mit­lesen. Geben Sie ihnen die Aufgabe, interessante Stellen mit Bleistift zu markieren – und lassen Sie sich überraschen, was „interessant“ sein kann! Eventuell müssen Sie eine Begrenzung auf zwei oder drei Stellen vorgeben. Anschließend besprechen Sie gemeinsam, warum die jeweiligen Stellen gekennzeichnet wurden. So können etwa auffällige Rhythmusmuster oder neue Töne entdeckt und besprochen werden. Wenn diese Stellen anschließend von allen oder einzelnen gespielt werden, probieren die Kinder gleich, wie sich diese Rhythmen oder (neuen) Bewegungsablaufe anfühlen.

* weitere Anregungen und Vorschläge in: Sandra Engelhardt: Wir flöten QUER! Lernspiele und Anregungen, Wiesbaden 2014; s. auch www.wirfloetenquer.de

Lesen Sie weiter in Ausgabe 3/2016.