Ibañez, Ivar

Klassische Gitarre und körpergerechte Haltung?

Voraussetzungen und ­Konsequenzen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Wißner, Augsburg 2015
erschienen in: üben & musizieren 3/2016 , Seite 51

Es ist schon das zweite Buch zur körpergerechten Haltung von GitarristInnen, das in letzter Zeit erschienen ist (vgl. Rezension zu Thomas Offermann: Moderne Gitarrentechnik in Heft 6/15, S. 52 f.); vielleicht ein Indiz für einen bewussteren Umgang von GitarristInnen mit dem eigenen Körper… Ivar Ibañez, in Deutschland lebender bolivianischer Gitarrist und Musikschullehrer, kritisiert die auf den spanischen Gitarristen Francisco Tárrega Ende des 19. Jahrhunderts zurückgehende „Schulhaltung“ mit Fußbank und einem nach vorne gebeugten, leicht nach links verdrehten Oberkörper samt Vorschieben der rechten Schulter: eine linkslastige Haltung, die noch bis in die 1980er Jahre selbst von Hochschullehrkräften kommentarlos übernommen wur­de.
Der Autor diskutiert ausführlich die Lösungen zur Haltungsprob­lematik aus dem frühen 19. Jahrhundert bei Dionisio Aguado, der ein Stativ erfand, an dem die Gitarre fixiert ist, und Fernando Sor, der die große Korpuswölbung auf den rechten Oberschenkel legte und die kleine Wölbung auf eine Tischkante.
Ibañez stützt sich bei seiner Darstellung hauptsächlich auf die Bücher Die Haltung des Gitarris­ten von Ekard Lind (1984) und Hand und Instrument von Christoph Wagner (2005), ergänzend auf Wagners Artikel „Physiologischer Ratgeber“ (1993), aus denen er reichlich und ausführlich zitiert. Gut ein Drittel der 254 Fußnoten beziehen sich nur auf diese drei Quellen. Die umfangreiche englischsprachige Literatur zum Thema diskutiert er nicht. Einerseits zeigt Ibañez sein Bestreben nach wissenschaft­licher Korrektheit, indem er präzise belegt, andererseits wird deutlich, dass sein Eigenanteil in dieser Zitatcollage untergeht. Selbst in seinen Schlussfolgerungen erscheinen Zitate von Lind und Wagner.
Symptomatisch für dieses Buch ist, dass sogar der Schlusssatz aus Wagners Ratgeber übernommen ist. So ist der Erkenntnisgewinn gering, zumal der Autor die Zitate nicht hinterfragt, sondern nur aneinanderreiht. Es wundert dann nicht, dass er in seinen Schlussfolgerungen sehr vage bleibt: „Es ist wichtig, ein durchdachtes Konzept der globalen Haltung zu entwickeln“, die Ursachen der Haltungsbeschwerden sollen „erkannt und ausgeschaltet oder verringert“ werden.
Auf leider nur fünf Seiten geht Ibañez, der selbst die Gitarre nur auf dem rechten Oberschenkel positioniert und ein Stativ verwendet, das sie vom linken Oberschenkel aus fixiert, auf Alternativen zur Fußbank ein. Hier hätte er durch einen detaillierten Vergleich (es gibt mehr Varianten, als er erwähnt) zu neuen Ergebnissen kommen können. Auffällig ist aber, dass er die engen Grenzen der klassischen Gitarre nicht verlässt und keinen Blick auf z. B. Flamenco- oder Fingerstyle-GitarristInnen wagt.
Das Buch zeigt wieder einmal, dass klassische GitarristInnen in Haltungsfragen noch lange nicht am Ziel angekommen sind.
Jörg Jewanski