Dancla, Charles

Sechs kleine Fantasien

für Violine und Klavier op. 126

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Edition Butorac, München 2015
erschienen in: üben & musizieren 3/2016 , Seite 54

Kaum einem anderen Musiker war es vergönnt, während seines Lebens Zeuge derart revolutionären stilistischen Wandels sein zu dürfen (oder zu müssen!) wie dem Franzosen Jean Baptiste Charles Dancla. Als er 1817 in der kleinen Pyrenäenstadt Bagnères-de-Bigorre geboren wird, arbeitet Beethoven gerade an seiner Hammerklaviersonate op. 106, der 20-jährige Schubert schreibt Die Forelle und Der Tod und das Mädchen. In Danclas ­Todesjahr 1907 beginnt Schönberg mit der Komposition des 2. Streichquartetts, die Uraufführung der 1. Kammersymphonie liegt ein Jahr zurück.
Danclas großes Talent erregte – wie im Übrigen auch dasjenige seiner Brüder Arnaud und Leopold, die beide angesehene Musiker wurden – früh Aufsehen. Auf Empfehlung von Pierre Rode, der ihn 1826 in Bordeaux hörte, wurde er in das Pariser Konservatorium aufgenommen und studierte Violine bei Pierre Baillot und Komposition und Kontrapunkt bei Jacques Fromental Halévy. Prägenden Einfluss auf ihn hatten die Begegnungen mit Niccolò Paganini, den er 1830 in Paris erlebte, und mit Henri Vieuxtemps. Dancla genoss bald Ansehen als einer der führenden französischen Geiger und Komponisten seiner Zeit und arbeitete ab 1835 einige Jahre als Konzertmeister der Pariser Oper. Unerwartete Umstände und Intrigen veranlassten ihn jedoch 1848 dazu, Paris den Rücken zu kehren und eine Stellung als Postmeister (!) in der Provinz anzunehmen. Zwei Jahre später kehrte er nach Paris zurück und wurde 1857 zum Professor am Conservatoire berufen.
Dancla war ungewöhnlich fleißig, dokumentiert sind mehr als 140 Kompositionen. Dazu schrieb er einige maßstabsetzende Lehrwerke von bleibender Bedeutung. Während seine Violinkonzerte und seine Kammermusik heute nahezu der Vergessenheit anheimgefallen sind (leider, hier gäbe es einiges zu entdecken!), erfreuen sich seine didaktisch-methodischen Kompositionen, darunter insbesondere seine Etüden, gerade auch diejenigen für Viola, aber auch die diversen Violinduette und kurzen Stücke für den Unterrichtsgebrauch, einiger Wertschätzung. Das ist alles geistvoll, gefällig und elegant im Stil der französischen Romantik um 1850 geschrieben, teilweise durchaus von gehobenem virtuosen Anspruch.
Nicht alles liegt in modernen Editionen vor. Da kommt die Neu­ausgabe der Six Petites Fantaisies op. 126 sehr gelegen. Diese musikalisch ansprechenden Miniaturen sind – anders als etwa die Konzertetüden aus Danclas Feder – sehr einfach gehalten und auch für AnfängerInnen gut spielbar. Gleiches gilt für die begleitenden Klavierparts.
Die Violinstimme hat Tomislav Butorac kompetent mit Strich- und Fingersatzbezeichnungen versehen, dazu finden sich im Anhang eine erläuternde Aufstellung aller Abkürzungen, Zeichen und Symbole, außerdem eine Übersetzung italienischer und französischer Vortrags- und Spielanweisungen. Eine interessante und empfehlenswerte Neu­erscheinung!
Herwig Zack