Günther, Matthes

Persönlicher Antrieb und kollektives Glück

Wenn Orchester die Verantwortung selbst in die Hand nehmen

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2015 , Seite 22

Selbstbestimmung, Eigeninitiative, Einsatz: Mit der Gründung eines selbstverwalteten Ensembles verfolgen viele junge MusikerInnen die Vision, mit dem, was sie lieben, ihr Geld zu verdienen. Der Schlüssel liegt dabei meist in ihrer Kreativität und Begeisterung. Ein Beitrag über persönliches Engagement, Wunsch­erfüllung und die Gründung zweier norddeutscher Orchester.

Während für Musikstudierende noch vor 20 Jahren der Fokus wesentlich auf eine Anstellung als OrchestermusikerIn gerichtet war, sind heute die Perspektiven deutlich vielschichtiger und weiter gefasst. Das Bild des Musikers, das sich vor allem über die Ausübung eines Berufs in einem Kulturorchester definiert und durch die hohe Leistungsdichte schon in der Ausbildung in vielerlei Hinsicht auch darauf beschränkt ist, wandelt sich. Jährlich verlassen in Deutschland deutlich mehr AbsolventInnen, die ein klassisches Orchesterinstrument studiert haben, die Hochschulen, als es Stellen für sie im Orchester gibt. Das bringt einerseits die dringende Notwendigkeit zur Umorientierung mit sich. Auf der anderen Seite beobachte ich in meinem direkten Umfeld, dass es unter jungen MusikerInnen längst auch den Wunsch nach mehr Eigeninitiative, nach aktiver Teilnahme an Programmgestaltungsprozessen und projektweiser Tätigkeit gibt.
Die Verfügbarkeit digitaler Medien führt zu einer nie dagewesenen Fülle an flexibel abrufbaren Musikinhalten und eröffnet gleichzeitig jedem die Möglichkeit, selbst seinen kreativen Output online zu stellen und zugänglich zu machen. Die Fokussierung Musikstudierender auf eine „Stelle“ ist nach meiner Erfahrung zwar größtenteils immer noch mit dem Wunsch nach persönlicher Absicherung verbunden, längst funktioniert diese Zielsetzung aber nicht mehr als allgemein gültiger Lebensentwurf.

Trend zur ­Eigeninitiative

Grund dafür ist unter anderem, dass sich auch in der klassischen Musikszene typische Phänomene der Generation Y niederschlagen. Diese Generation der in den 1980ern geborenen, heute jungen Erwachsenen ist weltoffen und ehrgeizig. Vernetzung ist für sie essenziell, sie sind „Digital Natives“. Der Anspruch, einen zufriedenstellenden Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit herzustellen, sich ein Arbeitsumfeld zu gestalten, das Spaß und Pflichterfüllung sinnvoll verbindet, ist für sie ein Leitbild, das sie bei der Jobsuche ganz klar bestimmt.
In der Übertragung auf die Musikwelt hat die Publizistin, Kulturmanagerin und Impresaria Sonia Simmenauer dieses Phänomen in einem Interview1 in ihrer Antwort auf die Frage, wie es zum Streichquartett-Boom der vergangenen zwanzig Jahre gekommen sei, treffend beschrieben: „Das hat mit Lebensentwürfen zu tun und mit der Tatsache, dass eine Stelle im Orchester für viele nicht mehr so attraktiv ist. Das Quartett ist da eine Lösung, bei der man nicht alleine durchs Leben geht und auf hohem Niveau etwas zusammen machen kann. Auch eine Abkehr von totaler Individualität.“ Die Auseinandersetzung mit Karriereplanung und Musikmanagement ist für angehende ProfimusikerInnen vielerorts zur Selbstverständlichkeit geworden. Am effektivsten und nachhaltigsten vollzieht sie sich mit der Gründung und Organisation eines eigenen Ensembles.

1 Interview im Magazin VAN vom 19. August 2015.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2015.