Bossen, Anja

„…eine ganz schöne Sackgasse“

Auch äußere Umstände können zum Gefühl des Gescheitert-Seins führen

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2015 , Seite 24

Scheitern kann viele Dimensionen haben. Das Gefühl des Gescheitert-Seins ist subjektiv und individuell unterschiedlich und kann durch verschiedene Ursachen ausgelöst werden, die sowohl auf innere als auch äußere Umstände zurückgeführt werden können. Scheitern an äußeren Bedingungen, die man selbst nicht beeinflussen kann, wird jedoch nur selten thematisiert. Wie sehr solche äußeren Umstände sich auf das Gefühl des Gescheitert-Seins im Berufsleben auswirken können und welche Folgen dies für die Qualität der musikalischen Bildung haben kann, zeigt das Interview mit einer Berliner Musikschullehrerin.

Seit wie vielen Jahren sind Sie Musikschullehrerin in Berlin?
Ich arbeite seit 2001 als Musikschullehrerin in Berlin und unterrichte an zwei bezirklichen Musikschulen Gitarre1 sowie im Rahmen von Kooperationen MGA an zwei Grundschulen.

Wie kommt es, dass Sie an zwei verschiedenen Musikschulen unterrichten?
Am Anfang hat auf meine Bewerbung nur eine Musikschule reagiert und später wollte ich außer Gitarrenunterricht noch etwas anderes machen: Ich war bereit, in die Kooperation mit Schulen einzusteigen, die mit den Ganztagsschulen begann und sehr widerwillig von den Kolleginnen und Kollegen angenommen wurde. Ich fand das erst einmal spannend, ohne zu wissen, was da auf mich zukommen würde. An zwei Musikschulen unterrichte ich aber auch deshalb, weil ich damals von den wenigen Stunden an einer einzigen Musikschule nicht leben konnte.

In den vergangenen Jahren wurde bekannt, dass Musikschullehrkräfte zunehmend in prekäre Verhältnisse gedrängt werden, der Anteil der Honorarkräfte zu- und der Anteil an festen Stellen abnimmt. Besonders schlecht ist die Situation in Berlin, wo nahezu alle Lehrkräfte Honorarkräfte sind. Aus einer großen Studie über den Beruf Musikschullehrer2 ist aber auch bekannt, dass sich diese Berufsgruppe trotz existenzieller Probleme dennoch nicht unbedingt als gescheitert empfindet, weil der Beruf innerlich sehr befriedigend sein kann. Wie ist das für Sie: Fühlen Sie sich in Ihrem Beruf gescheitert?
Dazu gibt es Verschiedenes zu sagen. Zuerst einmal habe ich mir das alles zu Anfang gar nicht so überlegt, war nur froh, dass ich überhaupt einsteigen konnte. Erst mit den Jahren – ich bin jetzt 51 Jahre alt – ist mir klar geworden, dass es eine ganz schöne Sackgasse ist. Zum einen finanziell: Meine Rente wird 350 Euro betragen, wenn ich weiter so arbeite wie in den vergangenen fünf Jahren. Nur wird mir erst mit dem Älterwerden klar, was das konkret bedeutet. Ich war nie arbeitslos oder AlgII-Empfängerin und trotzdem werde ich im Alter nichts haben – das ist bitter! Zum anderen ist es so, dass ich, obwohl ich seit 1992 mit Kindern arbeite, nie mehr Honorar bekomme als eine Anfängerin, die direkt von der Hochschule kommt. Es gibt in unserem Beruf keinerlei Aufstiegsmöglichkeiten, und mit den neuen Berliner Ausführungsvorschriften wird alles immer schlimmer. Das frustriert mich und wirkt durchaus auch demotivierend.
Was mich ebenfalls frustriert, ist, in einem Projekt mitzuarbeiten, dafür eine umfangreiche Weiterbildung zu absolvieren, meine Zeit hineinzugeben, und dann läuft es ein paar Jahre und ist wieder weg vom Fenster. Das ist Scheitern für mich, wenn alles Engagement, Weiterbildungen usw. quasi ins Nichts laufen. Ich habe jetzt, nach drei Jahren Tätigkeit in Kooperationen mit Grundschulen, auch das Gefühl, dass ich etwas mehr Vernetzung innerhalb der Schule bräuchte oder mehr Austausch mit Kolleginnen und Kollegen; aber das wiederum wird nicht bezahlt oder mit höchstens 10,66 Euro pro Stunde, was einfach lächerlich wenig ist.
Was mich auch sehr stört, ist, dass ich selten in einem geeigneten Raum unterrichte, immer viel Vorbereitungszeit brauche und sämtliches Material und Instrumente mit mir herumschleppen muss. Ich kann nie einfach mal kommen, aus einem Schrank meine Sachen herausholen und dann in Ruhe alles für meine Arbeit mit den Kindern vorbereiten.

Was hat sich mit den neuen Ausführungsvorschriften gegenüber den bisherigen geändert und wie kommt es, dass einige Tätigkeiten, die mit dem Unterrichten unmittelbar und notwendigerweise zusammenhängen, so schlecht bezahlt werden?
Geändert hat sich vor allem etwas für die Inst­rumentallehrer. Sie haben ihr Honorar bisher monatlich gezahlt bekommen, indem aufgrund des Vertrags mit den Eltern ein Jahresdurchschnittsverdienst errechnet wurde, der dann anteilig zwölf Monate ausbezahlt wurde. Jetzt müssen – wie beim Gruppen­unterricht im musikalischen Grundstufen­bereich schon immer – Monat für Monat Einzelabrechnungen von den Lehrkräften bei der Musikschule abgegeben werden. Das ist natürlich ein viel größerer Aufwand für Lehrerinnen und Lehrer wie auch für die Musikschulverwaltung – und den Lehrkräften bezahlt diesen Aufwand niemand.
Für die Früherziehungs- und Kooperationslehrer ist es genauso, nur bekommen jetzt die EMP/MFE-Lehrkräfte für die geleistete Stunde zwei Euro mehr als eine Instrumentallehrerin, die dafür meist ein Kind alleine unterrichtet und sich nicht mit der Disziplin in einer 12- bis 15-köpfigen Kindergruppe herumschlagen muss, die höchstens ein bis zwei Jahre einigermaßen stabil in der Zusammensetzung bleibt. Zwei Euro mehr finde ich einen echten Witz! Zudem sind die Probleme, die die Kinder heute so mitbringen, in den vergangenen zehn Jahren deutlich größer geworden. Nur einige Stichworte dazu: Aufmerksamkeitsschwierigkeiten, Probleme im sozialen Miteinander oder mangelnde Anerkennung der Lehrperson, nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei den Eltern, motorische und sprachliche Defizite…
Ganz neu ist, dass wir jetzt zusätzliche Tätigkeiten, die früher finanziell gar nicht berücksichtigt wurden, abrechnen können, z. B. Raumvorbereitung, Gespräche mit Eltern, Inst­rumentenwartung, Vorbereitung und Durchführung von Schülervorspielen, die Vorbereitung von Schülern auf „Jugend musiziert“ und einiges mehr. Das wäre ja sogar okay, aber für diese Tätigkeiten wird ein vollkommen anderer Honorarsatz als für das Unterrichten zugrunde gelegt, nämlich ca. 10,66 Euro für 60 Minuten! Jemand von der Senatsverwaltung, der keine Ahnung von unserer Arbeit hat, entscheidet, dass Lehrkräften mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium bestimmte Tätigkeiten mit einem solch niedrigen Stundensatz bezahlt werden. Dabei gehören diese Tätigkeiten doch zur pädago­gischen Arbeit zwingend dazu! Das ist, als wenn eine Person, die bei der Senatsverwaltung arbeitet, auch mal kopieren geht oder Telefonate erledigt. Dafür muss sie ja auch nicht eine zweite Abrechnung führen und anders abrechnen. So etwas habe ich noch nie gehört, und wenn ich schon selbstständig bin, dann würde ich so etwas niemals aushandeln. Das kommt alles in einen wirklich guten und angemessenen Stundensatz mit hinein.

Wenn einerseits die „Bildungsrepublik Deutschland“ von der Bundeskanzlerin ausgerufen wird, offenbar aber zumindest in der Berliner Bildungspolitik kaum die Bereitschaft besteht, diejenigen, die einen wesentlichen Beitrag zur musikalischen Bildung leisten, angemessen zu bezahlen und sozial abzusichern, ist dann nicht zumindest ein großer Teil der musikalischen Bildung in der „Bildungshauptstadt Berlin“ gescheitert?
Ja, das kann man dann so sagen. Es wird natürlich Geld ausgegeben für musikalische Bildung, aber in meinen Augen viel zu wenig. Ich arbeite in den allgemein bildenden Schulen, bin mit ähnlichen oder noch mehr Prob­lemen als die Lehrerinnen und Lehrer konfrontiert und werde deutlich schlechter bezahlt – und meine Absicherung später? Man will auf der politischen Ebene alles haben, aber es soll am besten nichts kosten. Das ist die Haltung, und die geht einfach nicht auf. Nirgends.

Werden Ihrer Einschätzung nach die Berliner Lehrkräfte auch langfristig bereit sein, weiterhin zu so schlechten Konditionen zu arbeiten? Oder scheitert eine qualitätvolle Musikschularbeit gerade an der Demotiva­tion der Lehrkräfte?
Ich befürchte, dass wir weiter zu so schlechten Konditionen arbeiten werden. Wir haben ja versucht, die Kolleginnen und Kollegen dahingehend zu mobilisieren, dass sie die neuen Honorarverträge, die 2013 aufgrund der neuen Ausführungsvorschriften von der Senatsverwaltung allen Lehrkräften vorgelegt wurden, so nicht annehmen. Doch das ist gescheitert, und zwar aus Existenzangst – meist war das der Grund. Diese Angst bleibt natürlich, denn das Geld wird ja nicht mehr, und die Ausgaben für den Lebensunterhalt steigen ständig, während unser Honorar eher stagniert.
Allerdings höre ich jetzt vermehrt, dass sich die Kolleginnen und Kollegen nicht mehr wohlfühlen, dass sie sich allein vorkommen, den Bezug zur Musikschule zunehmend verlieren, dass sie verunsichert sind, sich zurückziehen. Das ist keine gute Entwicklung. Es wird zu wenig geredet untereinander, natürlich auch bedingt durch die verschiedenen Orte, an denen wir arbeiten. Wir sehen uns ja nie. Und dann gibt es diejenigen, die ganz in der Musikschule aufgehört haben und sich mit privatem Instrumentalunterricht selbstständig gemacht haben. Wieder andere versuchen, als Quereinsteiger in die Grundschule zu kommen. Man sieht, es wird doch vielen zu unsicher und zu anstrengend, und wenn sie die Möglichkeit haben, probieren sie etwas anderes. Schade, denn es sind meist äußerst engagierte Musikschullehrkräfte!

1 Aus Gründen der Anonymität wurde das Unterrichtsfach geändert.
2 Reimund Popp: Musikschullehrer – „…und was machen Sie beruflich?“ Eine bundesweite empirische Studie zur Situation des Musikschullehrerberufs, Ober-Ramstadt 2011/22014.

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