Baumgartner, Josef

MusikschulZukunft

Chancen und Risiken für die musikalische Bildung in ganztägigen Schulformen, Beiträge zur Musikschulforschung, Band 2

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Musikschulmanagement Niederösterreich, Atzenbrugg 2014
erschienen in: üben & musizieren 4/2015 , Seite 52

Mit seiner Schriftenreihe „Beiträge zur Musikschulforschung“ möchte das Musikschulmanagement Niederösterreich Impulse zur Neuorganisation der musikalischen Bildung im Ganztagsschulsystem geben. Josef Baumgartner, Direktor der Zentralmusikschule Oberwart, widmet sich dabei den Potenzialen, die die Ganztagsschule für Kooperationen mit Musikschulen bietet.
Das Buch gliedert sich in zwei Teile, wobei der erste Teil sich mit dem Schulsystem in Österreich einschließlich schulrecht­licher Fragen auseinandersetzt und damit den rechtlichen Hintergrund für die in Österreich angestrebte Integration von Musikschulunterricht in den Regelunterricht schafft. Derzeit bewegen sich Kooperationen noch in recht­lichen Grauzonen. Der zweite Teil erhebt den Ist-Stand von Kooperationen zwischen Musikschulen und allgemein bildenden Schulen, der mittels einer repräsentativen Befragung ermittelt wurde. In der Befragung wurden organisatorische und pädagogische sowie Fragen zur Projektführung in Projekten, Modellen, Unterrichtsformen, Schulversuchen oder anderen Kooperationsformen von der ersten bis zur neunten Klasse erhoben.
Die Befragung hat vor allem quantitative Zielsetzungen und folgt keiner Einordnung in den aktuellen Forschungsstand zu Kooperationen. Vor allem feh­len Definitionen und  Begriffsbeschreibungen, was das Ausfüllen des Fragebogens an einigen Stellen schwierig macht. Was unterscheidet z. B. die Kategorien „Tanz und Bewegung“ und „Bewegung“? Was ist bei der Frage „Gibt es pädagogische Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen verschiedener Institutionen?“ mit „pädagogisch“ gemeint? Diese Begriffe werden zwar bei der Interpretation der Ergebnisse erläutert, nicht jedoch im Frage­bogen selbst. Auch bleibt bei der Planung des Forschungsvorhabens unklar, welche Variablen des Fragebogens mit welcher Absicht erhoben wurden.
Bei einigen Fragen hätte zudem eine weniger standardisierte Befragung zu mehr Informations­gewinn geführt. Beispielsweise wäre es von Interesse, nicht nur zu erfahren, ob die Lehrkräfte mit einem Kooperationsmodell zufrieden sind, sondern auch, warum bzw. warum nicht, denn nur dann ließen sich daraus konkrete Maßnahmen ableiten. Das Gleiche trifft auch auf die Frage an die Lehrkräfte zu, ob positive Auswirkungen bei den Schülerinnen und Schülern zu beobachten sind. Baumgartner verweist an dieser Stelle auf die Notwendigkeit weiterer Forschung. Doch für eine Beobachtung irgendwie gearteter Auswirkungen musikalischer Betätigung hätte man sich auch auf die international bereits zahlreich vorhandenen Studien zu Transfereffekten berufen können.
Ungewöhnlich ist die Präsenta­tion und Diskussion der jeweiligen Ergebnisse unmittelbar im Anschluss an die Fragen, doch ist dies eine sehr übersichtliche Darstellung, zumal die Ergebnisse an dieser Stelle jeweils auch kurz interpretiert werden. Die Interpretationen sind allerdings zumindest an einigen Stellen zu kurz gegriffen, indem Vermutungen über das Zustandekommen von Ergebnissen nur in eine einzige Richtung angestellt werden. So wird das Ergebnis, dass es zum Erhebungszeitpunkt nur sel­ten mehr als zwei Kooperationsprojekte zwischen zwei Partnern gab, einzig dahingehend interpretiert, dass mehr als zwei Kooperationen wohl an Widerständen und Desinteresse „entscheidender Stellen“ scheitern – wer auch immer damit gemeint sein mag. Doch können Kooperationen auch aus ganz anderen Gründen nicht zustande kommen, z. B. wegen Überlastung oder Mangel an qualifizierten Lehrkräften, Raummangel, Desinteresse der Eltern (die zumindest Schulversuchen zu zwei Dritteln zustimmen müssen) etc. An anderen Stellen werden überhaupt keine Vermutungen darüber angestellt, wodurch ein Ergebnis zustande gekommen sein könnte, z. B. warum nur an sehr wenigen Schulen Musikschullehr­kräfte im Nachmittagsbereich eingesetzt werden.
Im Anschluss werden konkrete Kooperationsprojekte vorgestellt. Da dieser Teil sich auf den Stand der Jahre 2007/08 bezieht, ist damit zu rechnen, dass er nicht mehr aktuell ist. Dennoch zeigen die vorgestellten Modelle und Konzepte eine interessante Bandbreite auf, die sich ähnlich darstellt wie derzeit in deutschen Kooperationen. Eine weitere Parallele zu Deutschland lässt sich dahingehend ziehen, dass der größte Anteil an Kooperationen zwischen Musikschulen und Grundschulen stattfindet.
Dieser Abschnitt gibt außerdem einen Überblick über Ergebnisse von Kongressen und bildungs­politische Verlautbarungen zum Thema „Kooperation“ und arbeitet Zukunftsperspektiven für die künftige Musikschularbeit in strukturierter Form aus. Besonders interessant ist dabei die Überlegung Baumgartners, den schulischen Musikunterricht künf­tig von MusikschullehrerInnen erteilen zu lassen, da sich so eine Qualitätssteigerung musikalischer Bildung erzielen lasse. Begründet wird dies damit, dass (wie auch in Deutschland) der schulische Musikunterricht größ­tenteils ausfällt oder fachfremd erteilt wird.
Das Buch bietet eine solide Datenbasis für österreichische Schulverwaltungen. Mit den wenigen offenen Fragen und der starken Standardisierung des Fragebogens kann jedoch der Anspruch Baumgartners, die Ergebnisse der Befragung würden „neue Wege zur Optimierung der musischen Ausbildung im Pflichtschulbereich“ weisen, nur in Teilen eingelöst werden, da sich aus den Antworten nur einige konkrete Maßnahmen für die Praxis ableiten lassen. Die von Baumgartner entwickelten Zukunftsperspektiven werden daher auch mehr aus den vorgestellten Modellen im Sinne von Best-Practise-Modellen als allein aus der Befragung abgeleitet.
Was den Vergleich zu Kooperationen in Deutschland betrifft, ist hinsichtlich der Arten, Inhalte und Strukturen der vorgestellten Modelle kaum Neues und Anderes zu erfahren als das, was es in Deutschland auch gibt. Viele Erkenntnisse sind nicht neu und bereits in ähnlicher Weise anderweitig publiziert.
Anders als in Deutschland, wo die Folgen der Einführung der Ganztagsschule in keiner Weise vorausschauend berücksichtigt wurden, ist die Einführung der Ganztagsschule in Österreich noch weniger weit fortgeschritten, sodass Überlegungen zur Zukunft der Musikschulen noch greifen könnten, bevor die österreichischen Musikschulen in eine ähnliche Situation geraten.
Anja Bossen