Gruhn, Wilfried

Musikalische Gestik

Vom musikalischen Ausdruck zur Bewegungsforschung

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Olms, Hildesheim 2014
erschienen in: üben & musizieren 5/2014 , Seite 52

Wilfried Gruhn, anerkannter Wissenschaftler auf dem Gebiet der Musikpädagogik und Lernforschung, stellt in diesem Buch den Begriff „Musikalische Gestik“ unter die Lupe verschiedener wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden. Gestik als ein Wort, von dem jedermann etwas zu verstehen scheint, entpuppt sich als äußerst komplexer Ober­begriff, dessen Vielschichtigkeit und mannigfache Anwendbarkeit auf Ahnungslosigkeit stößt. Gruhn befasst sich mit Gestik im Zusammenhang mit dem Wesen der Musik und des Musizierens. Er stellt den Bezug her zu Gestik und Sprache, zu musikalischem Lernverhalten von Kindern und Erwachsenen, zu Pantomime, Gesang und Bewegung im Einzelnen und zitiert die neuerdings intensivierten Bemühungen auf dem Gebiet der neurobiologischen Forschung. Der Autor packt das Thema in knappe sechs Kapitel und überlässt es den LeserInnen, in welcher Reihenfolge man das Buch durcharbeitet. Trotzdem ist der gestraffte Text nur mit ernsthaftem Bemühen zu bewältigen.
Gruhn geht auf die Gebärden in Ausdruckstanz und klassischem Ballett ein, wo der menschliche Körper zum Medium wird und Gefühle und Affekte transportiert. So befasst sich das Gebiet „musikalische Gestenforschung“ u. a. mit der interpretatorischen Deutung körperlich-tänzerischer Ausdrucksgebärden mit ihrem mimetischen oder energetischen Hintergrund. Im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen Emotion, Affekt, Empfindung, Figurenlehre und Aufgaben analytischer Interpretationsforschung. Mit den neuen Forschungsmethoden ist es möglich, Ausdrucksgesten aufzuzeichnen, sie kategorial zu erfassen, sie metrisch zu kodieren und so einer statistischen Analyse zugänglich zu machen.
Im Zusammenhang mit Musik und Bewegung kommt die Sprache auf Spiegelneurone, Imita­tion und sensomotorische Intelligenz, Sprachentwicklung und Bewegung, Propriozeption (Tiefenwahrnehmung), Bewegungskontrolle und musikalische Wahrnehmung. Gruhn zitiert die Freiburger Bewegungsstudien des Gordon-Instituts, die mittels Messverfahren die Rhythmisierungsfähigkeit von Kindern untersucht.
Mit den eigenen Worten des Autors: „Das Gestische der Musik wie die Gestik ihrer Hervorbringung bilden somit eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass Musik auch ohne Expertenwissen unmittelbar wirksam werden kann. Wenn wir diesen Vorgang des Wahrnehmens und Erkennens auch unter musika­lisches Verstehen subsumieren wollen, bildet die musikalische Gestik eine wichtige Säule im Verstehensprozess.“
In den Fußnoten wird auf internationale Literatur in Wort, Bild und Videobeiträgen hingewiesen. Wer sich in die Thematik weiter vertiefen möchte, findet am Ende des Buchs ein umfangreiches Literatur- und Abbildungsverzeichnis mit Personen- und Sachregister.
Karin Bauer