Hill, Burkhard / Jennifer Wengenroth

Musik machen im ­”jamtruck”

Evaluation eines mobilen Musikprojekts für Jugendliche

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: kopaed, München 2013
erschienen in: üben & musizieren 3/2014 , Seite 54

Man stelle sich vor: Kinder und Jugendliche gehen nicht mehr zur Musikschule – nein: Die Musikschule kommt mit allem Equipment zu ihnen in die Schule und holt die Kids wortwörtlich dort ab, wo sie stehen. Dies wird die Ausnahme bleiben, doch ein Schritt in diese Richtung ist der „jamtruck“, den die Folkwang-Musikschule in Essen auf den Weg schickt.
Ein bunt bemalter Sattelschlepper mit Proberaum, Inst­ru­men­ten und eingebautem Tonstudio fährt zu Essener Schulen und lädt Jugendliche ohne ausgeprägte musikalische Vorkenntnisse zum Musikmachen ein. Die Kids sind meist 12 bis 14 Jahre alt, der Migrationsanteil liegt bei 50 Prozent; 60 Prozent sind Jungs, es gibt eine signi­fikante Häufung bei Realschülern. Die Jugendlichen verpflichten sich für ein halbes Jahr zur aktiven Teilnahme, bloß Zuhören geht nicht.
Das musikalische Ziel des „jamtrucks“ ist klar: Musikferne Jugendliche werden für künstlerische Arbeit und längerfristigen Kontakt zur Musik interessiert und sollen kreatives Potenzial und eigene Gestaltungsideen entwickeln. Hinzu kommen die ebenso wichtigen außermusikalischen Dimensionen wie Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung, die immer wieder benannte „soziale Funktion der Projektteilnahme“, aber auch der respektvolle und zunehmend selbstorganisierte Umgang miteinander.
Das auf sieben Jahre angelegte Projekt „jamtruck“ ist ausführlich beschrieben und evaluiert worden. Die Ergebnisse aus den Befragungen der Jugendlichen sprechen ohne Zweifel für das Projekt: 90 Prozent der Jugend­lichen hatten Spaß im „jamtruck“, 80 Prozent würden gerne wiederkommen und 70 Prozent möchten gerne weiter in einer Band spielen – und könnten sich sogar vorstellen, Unterricht zu nehmen!
Auch ein Ergebnis der Evaluation ist, dass die Rahmenbedingungen kreativitätsfördernd sind und der Slogan „Macht eure Musik!“ für eine offene Arbeitsatmosphäre ohne Druck sorgt. Ebenso sind die transparenten, von allen akzeptierten Regeln wichtig für das Gelingen des Projekts. Als unverzichtbare Kooperationspartner werden die all­gemein bildenden Schulen gebraucht. Ohne die Bereitschaft der Schulen, Jugendliche auch mal vom Unterricht zu befreien, ohne Offenheit bei den Lehrern für popkulturelle Angebote wird nichts gehen. Und selbstverständlich, auch dies ist Ergebnis der Evaluation, benötigt der „jamtruck“ motivierte, bestens ausgebildete und hoch qualifizierte Lehrkräfte.
Hamburg hat es vor Jahren mit dem „Jamliner“ vorgemacht, Essen ist gefolgt, vielleicht werden andere nachziehen und zu den Jugendlichen fahren, die sonst niemals die Türschwelle einer Musikschule übertreten werden. Doch ein „jamtruck“ kostet Geld. So endet das Buch mit dem einfachen, aber wahren Satz: „Qualität hat eben ihren Preis.“
Uwe Sandvoß