K 2013

Vier prämierte Stücke des Mauricio Kagel Wettbewerbs 2013 für Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Universal Edition, Wien 2013
erschienen in: üben & musizieren 1/2014 , Seite 53

Mit dieser hervorragenden Ausgabe legt die Universal Edition in Zusammenarbeit mit der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien die vier prämierten Klavierwerke des letztjährigen Mauricio Kagel Komposi­tionswettbewerbs vor. Wer an zeitgenössischer Klaviermusik und Klangexperimenten Interesse hat, wird hier fündig. Der Schwierigkeitsgrad bewegt sich im Rahmen der Mittelstufe.
Die Ausgabe enthält zahlreiche Erläuterungen zu klangexperimentellen Spielweisen, die zumeist gut ausführbar und editorisch geschickt durch Fußnoten in den Notensatz integriert sind. Einzig der Titel „für Klavier“ ist irreführend, denn die Kompositionen sind für Flügel mit Sostenuto-Pedal geschrieben und lassen sich auf dem Klavier nicht adäquat ausführen.
Die amerikanische Komponistin Kala Pierson (*1977) ist mit den drei Miniaturen Radiate vertreten, welche mit minimalistischen Motivwiederholungen sowie mit freitonalem Akkordsatz ohne rhythmische Fixierung gestaltet sind. In Nr. 3 „Ice in Sun“ entsteht mit der repetierenden Satz­technik und den gleichbedeutenden durchpedalisierten Pausen ein wunderschön kristallines Klangbild.
Sehr positiv fallen die Fünf kleinen Stücke des jungen Schweizer Komponisten Morris Wolf (*1995) auf. Zuerst wird das in allen fünf Miniaturen verwendete Tonmate­rial vorgestellt und in einer Art Choral durchgeführt. Es folgen eine expressive Melodie­linie auf zwei Hände verteilt und zwei Basslinien in polyrhythmischer Verschiebung. In Nr. 5 wird ein chromatischer Cluster durch das Sostenuto-Pedal fixiert, die Resonanzen werden durch Staccati und Glissandi im Flügel zum Klingen gebracht. Eine geheimnisvolle Traumstimmung erzeugt Nr. 3 innerhalb der klanglich interessanten Miniaturen.
Cahier d’explorations heißen die vier kurzen Stücke des Franzosen Gaël Tissot (*1982). Sie sind alle ohne Takte komponiert, was dem Spieler eine freie Diktion ermöglicht, und liegen gut in der Hand. Geschickt ist die Bitonalität eingesetzt, ebenso das Spiel mit Resonanzen in Verbindung mit Sprungtechnik. Im dritten Stück „Glissements“ wird eine geheimnisvolle Atmosphäre erzeugt durch Fingerschnippen am Rand der Taste oder geräuschhafte Glissandi mit den Fingernägeln über der Tastatur.
Das mit dem ersten Preis ausgezeichnete Werk Cuatro obser­vaciones sobre lo imaginario stammt von dem in Mexiko geborenen Komponisten Victor Ibarra (*1978). Es enthält komplexe, klangexperimentelle Aufgabenstellungen: So gibt es Saiten zu präparieren, Fingertremoli an den Saiten, Bisbigliando-Effekte, mit der Hand abgedämpfte Saiten, den Einsatz von Paukenschlegeln und vieles mehr. Die manchmal disparat scheinenden Mittel sind geschickt eingesetzt.
In diesem Band ist viel zu ent­de­cken – ein repräsentativer Quer­­schnitt zeitgenössischer Kompositionstechniken und klang­experimenteller Ideen für ein kreatives, entdeckungsfreudiges Klavierspiel.
Christoph J. Keller