Morgenstern, Martin

Weg von Projekten, hin zu Strukturen!

Der Sächsische Musikrat lud Erzieherinnen, Pädagogen, MusikerInnen und Landespolitiker zum Fachtag „Musikalische Bildung in Kinder­tagesstätten&lodquo; ein

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 6/2013 , Seite 40

“Mooorgääänkraaaiiiis!”, schallt’s durch die Gänge der ökologischen Kindertagesstätte “cocolores”. Wirbelflink stürzen die Mitglieder der “Grünen Gruppe” vom Flur in ihren Versammlungsraum. Nele hat schon die roten Filzmatten bereitgelegt, Oskar darf die Kerze anzünden, Getuschel, Gekicher, dann stimmt Ute das erste Lied an, eine Art Anwesenheitskontrolle in F-Dur. Später wird ernsthaft diskutiert: Kastanien sammeln gehen oder Kuchen backen? Schließlich “Der Herbst ist da” – zur Gitarre…
Ein selbstverständliches Einfließen-Lassen musikalischer Elemente in den Kindergarten-Alltag: Was im “cocolores” ganz selbstverständlich ist, treibt vielen jungen wie älteren sächsischen Erzieherinnen (Altersdurchschnitt momentan: 48 Jahre) immer noch die Schweißtropfen auf die Stirn. Musikmachen? Mit den Kindern? Mich selbst zur Gitarre begleiten? Oh Gott.
Susanne Grünert, Lehrerin am Beruflichen Schulzentrum für Gesundheit und Sozialwesen Dresden, hat beobachtet: “Trotz vielfältiger musikalischer Ausbildung verlassen uns viele Schüler mit großen Vorbehalten dem praktischen Musizieren gegenüber.” Dafür gebe es viele Gründe: Unter anderem mag die starke Heterogenität der Schülerschaft – 18 bis 45 Jahre sind die angehenden Erzieherinnen, wenn sie ihre Ausbildung beginnen –, die ganz unterschiedlichen gesammelten Lebenserfahrungen und aktuellen Lebenswelten der Grund sein, warum sich Lehrkräfte und SchülerInnen schon bei der Ausbildung äußerst schwertun, das praktische Musizieren miteinander zu üben.
In der Mehrzahl nimmt das Schulzentrum zurzeit SchülerInnen mit geringen oder gar keinen musikalischen Vorkenntnissen auf. “Ich spiele kein Instrument, schon gar nicht vor anderen Leuten” – das ist der Normalfall der hier ausgebildeten Erzieherinnen, so Grünert. Klar, man habe auch einen Schüler, der seine eigene CD herausgebracht hat. Aber diese unterschiedlichen musikalischen Fähigkeiten und Motivationen führten das methodisch-didaktische Geschick der Lehrkräfte an seine Grenzen. Wenn die Schülerin denke, Musik spiele für sie keine Rolle – wie soll da eine dreijährige Ausbildung ausreichen, die Lust an der Musik zu wecken und dann noch Methoden des aktiven Musizierens zu vermitteln? Schlimm, dass da ausgerechnet das musikalische Gebiet im Praktikum zu wenig geübt wird.
Im Verlauf eines Fachtags, den der Sächsische Musikrat organisiert und dazu Erzieherinnen, Pädagogen, MusikerInnen und Landespolitiker eingeladen hatte (Thema: “Musikalische Bildung in Kindertagesstätten”), stand bald fest: Unbedingt müsste der sächsische Bildungsplan verändert, die Erzieher-Ausbildung vereinheitlicht werden. Einerseits ist etwa Dresden die Geburtenhauptstadt Deutschlands. Andererseits bekommen die Ausbildungsstätten den Geburtenknick der Wende gerade mit Wucht zu spüren: Seit 2004 hat sich die Zahl der AbsolventInnen allgemein bildender Schulen in Sachsen fast halbiert. Und das ausgerechnet, wo angestrebt wird, jedem Unter-Dreijährigen einen Kindergartenplatz zu garantieren, und Erzieherinnen längst Mangelware sind!
Die vielleicht größte Crux der momentanen Ausbildung von Erzieherinnen in Sachsen jedoch: Sie ist zwar vielfältig – über vierzig verschiedene private und öffentliche Schulen mit verschiedenen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen bilden in Sachsen Erzieherinnen aus –, aber sie ist viel zu allgemein. Das im Bildungsplan festgeschriebene Ausbildungsziel: der Absolvent bzw. die Absolventin solle in der Lage sein, “Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsaufgaben in allen Beichen der Kinder- und Jugendhilfe”, also quasi mit Schützlingen von 0 bis 18 Jahren wahrzunehmen. Für eine Konzentration auf die musikalische Bildung von kleineren Kindern, auf das gemeinsame Musizieren mit ihnen, ist oft gar kein Platz im Stundenplan. Externe Musiker auf Elternkosten in die Kita einzuladen, hat indes die Landeshauptstadt ihren öffent­lichen Einrichtungen der Chancengleichheit wegen verboten. So bleibt die Musik oft auf der Strecke.
Hitzige Diskussionen also in der Landesmusikakademie Colditz zwischen allen Beteiligten und am Ende eine Forderung, die viel Beifall findet: Es muss unbedingt einen allgemeinen Eingangstest für Erzieherinnen geben! Viel zu viele Erzieherinnen merken viel zu spät, dass sie für ihren Beruf eigentlich gar nicht geeignet sind, dass sie sich etwa nicht trauen, mit Kindern zu singen, Instrumente auszuprobieren oder kleine Theaterstücke aufzuführen. Und: Modularisierter müsste die Ausbildung auf jeden Fall werden, auch wenn heutige Erwerbsbiografien sicherlich durch möglichst umfassende Ausbildungen vorbereitet werden sollten.
Einfach ist das alles nicht. So fasste der Präsident des Musikrats, Christoph Krummacher, zusammen: Man werde einen langen Atem haben müssen, Veränderungen anzuschieben – weg von Einzelprojekten und hin zu langfristig tragenden Strukturen, die die Realität in den Kitas nicht ausblendeten. Am späten Nachmittag verspricht er: Man werde die Fragen und Resultate des Fachtages an die Politik weitergeben und den Gesprächsfaden gerade mit dem Sächsischen Kultusministerium weiterspinnen.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 6/2013.