Ott, Thomas

Warum wollen alle trommeln?

Zum weltweiten Erfolg afrikanischer Perkussion

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2013 , Seite 20

Wie kaum eine andere eignet sich afrikanische Trommelmusik für einen körperbetontenZugang zum Musizieren. Dennoch sollte man den Unterschied zwischen einer deutschen Musikschule und einer afrikanischen Dorfgemeinschaft nicht aus dem Blick verlieren.

Zu Anfang überwog die Skepsis. Misstrauisch beäugten meine Kolleginnen und Kollegen die exotisch und etwas ungehobelt aussehenden Djembé-Trommeln, die ich nach meiner ersten Afrika-Reise für die Hochschule anschafft hatte. Was lassen die Didaktiker sich jetzt schon wieder einfallen! Bald ergab sich auch, dass diese damals bei uns noch weitgehend unbekannten Klangerzeuger die Schalldämmung der Unterrichts- und Übe­räume mühelos überspielten. Schnell stellte sich die Sinnfrage: Hatte dies noch etwas mit dem Bildungsauftrag einer Musikhochschule zu tun? Auch die Wissenschaft war nicht begeistert. Einmal begegnete ich, die Trommel unterm Arm, im Fahrstuhl einem bekannten Musikethnologen, der im Haus an einem Symposion teilnahm. „Was machen Sie denn mit dieser Trommel?“, erkundigte er sich besorgt. Über meine Antwort: „Ich spiele darauf!“, war er entsetzt: „Herr Ott, das dürfen Sie nicht!“ Hier bangte ein Musikwissenschaftler um die Unberührtheit seiner Forschungsgegenstände, an die man seiner Ansicht nach nur objektivierend und beobachtend herangehen durfte.
Inzwischen haben sich Schulen und Hochschulen an das Instrumentarium gewöhnt und nutzen es. Kaum ein Musikraum, in dem heute nicht eine Djembé zu finden ist. Es gibt sogar Bestrebungen, westafrikanische Perkussionsstile ins offizielle Lehrprogramm zu übernehmen – wie z. B. an der Kölner Musikhochschule. Der künstlerische und pädagogische Umgang mit dieser Musik hat sich allmählich professionalisiert. Die Musikethnologen wiederum sehen ihren Gegenstandsbereich inzwischen anders als jener Kollege aus dem Fahrstuhl. Sie fragen zum Beispiel: Was ist an der „ethnischen“ Musik authentisch – ihre (oft imaginäre) Reinkultur oder die Veränderungen im globalisierten Austausch?1 Weltweit hat sich, gefördert durch Musiker wie Mamady Keita oder Famoudou Konaté, um die westafrikanische Perkus­sionsmusik herum eine qualifizierte Laien-Szene gebildet. Sie wirkt in die Ursprungsländer Gambia, Guinea und Mali zurück und führt dort zu einer Stärkung der lokalen Musik und zur bewussteren Pflege des Erbes. Konaté beschäftigt sich seit Jahren damit, die unzähligen Rhythmen, die er als junger Dorftrommler in Guinea erlernt hat, in CD-Produktionen zu sichern.2

Begeisterung für ­afrikanische Musik

Eines zeigte sich schon in den Anfängen zu Beginn der 1990er Jahre: Sehr viele Schüler, Studierende, Lehrerinnen und Lehrer waren hochmotiviert, sich auf diese Musik und ihre Instrumente einzulassen. Schwierige Schulklassen hielten stundenlang konzentriert durch. Workshops und Hochschulkurse mussten doppelt angeboten werden. Die von Volker Schütz begründeten „Reisen in die schwarze Musik“ nach Westafrika waren trotz der recht hohen Kosten über Jahre ausgebucht. Warum? Warum wollten plötzlich alle trommeln?
1995 beschrieb Schütz in einem Vortrag („Über das außergewöhnliche Interesse von Musikpädagogen an schwarzafrikanischer Musik“) seine Erfahrungen mit einer großen Zahl von Kursteilnehmern.3 Seine Erklärung der Trommelbegeisterung: Bestimmte Elemente afrikanischer Musik seien längst bei uns angekommen, und zwar über afroamerikanische Stile wie Jazz, Rockmusik, lateinamerikanische Tanzmusik, Musical, Gospel, Spirituals oder weite Teile der sogenannten Popmusik. Alle diese Stile, so Schütz, machten eine „Vielheit neuen Typs mit transkulturellem Zuschnitt“ aus. Viele Menschen seien dadurch schon so etwas wie „kulturelle Mischlinge“ geworden. Stilmerkmale afrikanischer Musik seien ihnen im Grunde schon vertraut: rhythmische Prägnanz, Körperlichkeit, zyklische Ablaufformen, nicht-lineare Zeit­erfahrung, notenfreies Musizieren und Improvisieren, ein spezifisches Gruppenerleben. Von den Reproduktionsformen „unserer“ tradierten Musikkultur würden sie nicht mehr angesprochen, wohl aber von afrikanischer Musik. In ihr fände man diese Elemente sozusagen in Reinkultur, und das mache sie so attraktiv.

1 Rainer Polak: Festmusik als Arbeit, Trommeln als Beruf. Jenbe-Spieler in einer westafrikanischen Großstadt, Diss. Bayreuth 2002, Berlin 2004; Vera H. Flaig: The ­Politics of Representation and Transmission in the Globalisation of Guinea’s Djembé, Diss. Phil. University of Michigan 2010 (online abrufbar).
2 zu finden über die Website www.famoudoukonate.com (Stand: 4.8.2013).
3 abgedruckt in: Reinhard C. Böhle (Hg.): Aspekte und Formen Interkultureller Musik­erziehung. Beiträge vom 2. Symposium zur Interkulturellen Ästhetischen Erziehung an der Hochschule der Künste Berlin, Frankfurt 1996, S. 76-83.

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