Pollmann, Julia

Chorkonzert 2.0

Der Pop-Rock-Chor VOCALIVE gibt sein erstes virtuelles Konzert

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2013 , Seite 24

Während das Konzept des Online-Konzerts in den USA schon weit verbreitet ist, steckt es in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Vorreiter waren die Berliner Philharmoniker, die schon seit 2009 die “Digital Concert Hall” an­bieten. Immer öfter stellen auch öffentlich-rechtliche Sender Livestreams von Konzerten in Online-Mediatheken zur Verfügung. Diese Angebote sind jedoch meist Profiensembles vorbehalten. Doch auch für Laienensembles gibt es Möglichkeiten, sich live im Internet zu präsentieren.

Dienstag, 2. Juli 2013 – kurz vor 21 Uhr in Griesheim bei Darmstadt: Die Mikrofone stehen, die Scheinwerfer sind ausgerichtet, die Videokamera läuft, die 50 SängerInnen von VOCALIVE stehen bereit, die Bühne zu betreten, auf dem Bildschirm des Laptops zählt der Countdown runter: 3 – 2 – 1… live on air! Das erste VOCALIVE-Online-Konzert hat begonnen und wird für die nächste knappe Stunde live über das Internet in die ganze Welt übertragen. Der Chor wagt sich damit auf neues Terrain und entdeckt eine neue ­Dimension des Konzertierens: das virtuelle Konzert.
Eine Möglichkeit für LaienkünstlerInnen, ihre Shows im Internet zu übertragen, bietet zum Beispiel die Plattform www.stageit.com. Hier kann sich jeder kostenlos als Künstler regist­rieren und Konzerte, Shows, Interviews oder Backstage-Berichte per Livestream senden. Stageit fungiert dabei als virtuelles Konzerthaus, stellt Server für den Livestream bereit, verwaltet GEMA-Meldungen und verkauft Konzertkarten.
Die Idee für unser erstes Online-Konzert hatte ich, nachdem ich eine meiner Lieblingsbands auf Stageit gesehen hatte. Da der Pop-Rock-Chor VOCALIVE durch Konzerte und die Teilnahme an Vokal-Festivals, Chorolympiaden und Chorwettbewerben mittlerweile in ganz Deutschland und auch darüber hinaus bekannt ist, hielt ich es für eine ausgezeichnete Möglichkeit, durch ein solches Online-Konzert unseren Freunden und Fans von weiter weg die Chance zu bieten, auf diese Weise wieder bei einem unserer Konzerte mit dabei zu sein. Aber auch einem Publikum, das uns noch nicht kannte, eröffnete sich die Chance, VOCALIVE ohne großen organisatorischen, zeitlichen und finanziellen Aufwand kennen zu lernen. Selbstverständlich kann ein virtuelles Konzert nicht die Atmosphäre, die Akustik oder das Klangerlebnis bieten, wie man es in einem Konzertsaal erlebt. Doch als Vorgeschmack auf neues Repertoire, zum Kennenlernen oder um die Zeit zu überbrücken, bis es wieder ein VOCALIVE-Konzert in der Umgebung gibt, eignet es sich hervorragend.
Für die technische Realisierung von Ton und Bild nutzten wir sechs Raummikrofone und eine Webcam. Wir entschieden uns dafür, das Bild mit relativ geringer Auflösung zu übertragen, um die Datenmenge klein zu halten und auch ZuschauerInnen ohne High-Speed-Internetanschluss eine störungsfreie Übertragung zu gewährleisten. Der technischen Komplexität sind auf Stageit jedoch keine Grenzen gesetzt. Von im Laptop integ­rierter Kamera und Mikrofon bis hin zur Nutzung einer professionellen Soundanlage und mehreren HD-Kameras sind alle Optionen möglich. Beim nächsten Online-Konzert beabsichtigen wir, unseren ZuschauerInnen durch eine bewegte Kameraführung inklusive Nahaufnahmen das Gefühl zu geben, trotz räumlicher Distanz näher am Geschehen zu sein.
Die Konzertkarten werden direkt über Stageit verkauft. Der Ticketpreis kann vom Künstler selbst festgelegt werden. Wir haben uns für die Option „Pay what you can“ entschieden, bei der die ZuschauerInnen bei einem Mindestpreis von zehn US-Cent selbst entscheiden können, wie viel sie für die Karte zahlen möchten. Die Tickets können per PayPal oder Kreditkarte bezahlt werden. Der Erlös wird zwischen Künstler und Stageit aufgeteilt.
Um auch für den Chor eine Konzert-Atmosphäre mit sichtbarem Publikum und hörbarem Applaus herzustellen, haben wir jedoch nicht nur Online-Zuschauer geworben, sondern auch Familie und Freunde zum „realen“ Konzert eingeladen. Trotzdem war es für die SängerInnen auf der Bühne ein besonderes Gefühl, weil man nicht wusste, wer sich per Computer zugeschaltet hat und auf der Bühne kein direktes Feedback ankommt. Unsere Computerbeauftragte hatte da während des Konzerts schon mehr Informationen. Sie ­betreute den von Stageit angebotenen Chat. Dort können sich Publikum und KünstlerInnen während des Konzerts austauschen, wovon auch reger Gebrauch gemacht wurde. Neben „Klatsch“, „Jubel“, „Bravo“ und Lob wie: „Ein ganz tolles Konzert! Es war ein Genuss für die Ohren!!!“, wurde auch immer wieder gefragt, wer beispielsweise den aktuellen Song arrangiert hat oder von woher die anderen Zuhörer kommen – aus allen Teilen Deutschlands und sogar aus Sudbury in Kanada.
Insgesamt konnten wir uns über sehr viel positives Feedback freuen. Sowohl das Konzept des Online-Konzerts wurde gelobt („Danke für diese Art des Konzerts, sonst hätten wir ja keine Chance euch zu bewundern…“) als auch die musikalische Performance („Ihr habt einen sehr schönen Chorklang und der kam auch online rüber“). Kritik wurde nur an der Tonqualität geübt, was wir beim nächsten Online-Konzert verbessern werden.
Als besondere interaktive Aktion hatten wir über den Chat ein Voting für den Zugaben-Song gestartet; so konnten die Online-Zuhörer nicht nur live dabei sein, sondern sogar ins Konzertgeschehen mit eingreifen. Dies verstärkte das Gefühl der ZuschauerInnen, live dabei zu sein. Die Chatfunktion hat allerdings auch ihre Tücken, wie eine Zuhörerin nach dem Konzert berichtete: „Es hat zwar großen Spaß gemacht, mich mit den anderen Zuhörern auszutauschen, aber in einem ,echten‘ Konzert quatscht man ja auch nicht die ganze Zeit, sondern genießt die Musik!“
Eine weitere Besonderheit von Stageit ist der „Tip-Jar“: die Spendendose. In diese wurde während des Konzerts immer mal wieder der ein oder andere Dollar gelegt, ganz besonders während Oliver Gies’ Arrangement des bekannten Rammstein-Liedes Engel. Nach genau 50 Minuten, der maximalen Länge einer Show auf Stageit (30 Minuten Show + 20 Minuten Zugabe), kam unser erstes Online-Konzert mit Hallelujah von Leonard Cohen zu einem stimmungsvollen Ende.
Trotz geringer Tonprobleme sind wir mit unserer Internet-„Uraufführung“ sehr zufrieden. Vor allem hatten wir viel Spaß auf der Bühne, was sich auch über den Bildschirm übertrug, wie uns verschiedene HörerInnen mitteilten. Das Konzert hat uns und unseren ZuschauerInnen so gut gefallen, dass es schon in diesem Herbst eine Wiederholung geben wird.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 4/2013.