Hollmann, Christina

Weiter lernen!

Die kontinuierliche Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen ist eine ­praktische Notwendigkeit

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 3/2013 , Seite 06

Angesichts gravierender, sich in hohem Tempo vollziehender Ver­änderungen in den Arbeitsfeldern von Musikerinnen und Musikern kann der einmal erworbene Wissens­stand nicht genügen. Dauerhaft lernbereit und offen für Neues zu sein, lautet das Gebot der Stunde.

„Ihn bewog ein besonders starker Trieb, den er hatte, so viel von guten Organisten, als ihm möglich war, zu hören, daß er, und zwar zu Fusse, eine Reise nach Lübek antrat, um den dasigen berühmten Organisten an der Marienkirche Dietrich Buxtehuden, zu behorchen. Er hielt sich daselbst nicht ohne Nutzen, fast ein vierteljahr auf, und kehrete alsdenn wieder nach Arnstadt zurück.“1
Lernen und weiterlernen, sich bilden und fortbilden, eigene Horizonte erweitern und Perspektiven wechseln: Für diese frühe Va­riante des „Bildungsurlaubs“, wie sie im Spätherbst des Jahres 1705 der damals in Arnstadt wirkende Johann Sebastian Bach unternahm – der Arnstädter Kirchenrat hatte ihm hierfür vier Wochen gewährt –, gibt es in der Musikgeschichte zahllose Beispiele.2 Viele seiner Kollegen zog es auf der Suche nach Möglichkeiten sich weiterzubilden, sich von Vorbildern anregen zu lassen und aktuelle musikalische Moden kennen zu lernen in die damaligen Musikmetropolen Rom und Venedig. Die Klärung der damit verbundenen Fragen nach Dienstbefreiung und Kostenübernahme scheinen – heutigen Erfahrungen nicht unähnlich – bereits im 17. und 18. Jahrhundert nicht immer unproblematisch gewesen zu sein: Hier spannt sich der Bogen von Finanzierung aus eigener Tasche über großzügige Entsendung zur „Erlernung der italienischen Manieren“ durch aufgeschlossene fürstliche Mäzene bis hin zur abschlägig beschiedenen Bitte um auswärtige Studienaufenthalte.
Ob letztere Haltung vornehmlich pekuniären Gründen geschuldet ist oder aber der nicht ganz unbegründeten Sorge der Dienstherren um die Rückkehr der Reisenden an ihren ­Arbeitsplatz, kann nur gemutmaßt werden. Nicht zuletzt aber haben jene Musiker, die ­ihrem Impuls folgen konnten und durften, nicht nur die Musikwelt nördlich der Alpen in entscheidender Weise geprägt, sondern bereits zu ihrer Zeit ein lebendiges Zeugnis für lebenslanges Lernen abgelegt, lange bevor dieses Schlagwort allerorten die Runde machte und zum Leitprinzip erhoben wurde.

Lebenslanges Lernen

„Lebenslanges Lernen umfasst alles formale, nicht-formale und informelle Lernen an verschiedenen Lernorten von der frühen Kindheit bis einschließlich der Phase des Ruhestands. Dabei wird ,Lernen‘ verstanden als konstruktives Verarbeiten von Informationen und Erfahrungen zu Kenntnissen, Einsichten und Kompetenzen.“3 Lernen während des gesamten Lebens gilt für MusikerInnen nicht nur als Selbstverständlichkeit in ihrem Bemühen um Vervollkommnung und künstle­rische Entwicklung, sondern bildet zugleich die Grundlage ihres Entwicklungsprozesses: Vom gewöhnlich sehr frühen Instrumental- und Vokalunterricht bis hin zur musikalischen Aktivität weit über das Pensionsalter hinaus weist das Musizieren sich als geradezu mustergültiges Beispiel für lebenslanges Lernen aus.4

1 Carl Philipp Emanuel Bach/Johann Friedrich Agricola: „Nekrolog auf Johann Sebastian Bach“, Leipzig 1754, in: Bach-Dokumente Band III, Dokumente zum Nachwirken Johann Sebastian Bachs 1750-1800, Kassel/Leipzig 1972, Dok. 666, S. 82.
2 Im Spätherbst 1705 reist Johann Sebastian Bach nach Lübeck, um den norddeutschen Komponisten Dietrich Buxtehude zu treffen und von ihm zu lernen. Bach kehrt jedoch nicht wie mit seinem Dienstherrn, dem Presbyterium, vereinbart nach einem Monat, sondern erst nach fast vier Monaten zurück. Zwar hatte Bach für eine Vertretung gesorgt, doch Auseinandersetzungen mit seinem Arbeitgeber waren mit dieser Tat programmiert.
3 Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (Hg.): Strategie für Lebenslanges Lernen in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2004, Heft 115, S. 13.
4 vgl. Martin Prchal: „Die Auswirkungen der Bologna-Deklaration auf die Musikerausbildung in Europa. Ein Projekt der AEC“, in: Franz Niermann/Constanze Wimmer (Hg.): Musiklernen – ein Leben lang, Wien 2004, S. 133.

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