Kreidler, Dieter

Instrument ohne Lobby

Das Image der Gitarre als Kulturinstrument steht auf dem Spiel

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 3/2013 , Seite 51

Die Gitarre erfreut sich immer grö­ßerer Beliebtheit, die Wartelisten an Musikschulen werden immer länger, aber Festanstellungen an Musik- und Musikhochschulen fallen immer häufiger dem Rotstift zum Opfer – ein Instrument zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

„Als Solo-, Ensemble- und Begleitinstrument im klassischen Bereich und der Folklore, als E-Gitarre im Rock-Pop-Jazzbereich oder als unverzichtbares Instrument der Liedermacher und Songwriter – überall ist die Gitarre präsent.“ Dieser Leitgedanke findet sich auf der Website des Projekts „Gitarre – Instrument des Jahres 2013“1 – durchgeführt vom Landesmusikrat Schleswig-Holstein –, dessen Schirmherr ich in diesem Jahr sein darf. Bei der Pressekonferenz in Kiel im Januar 2013 stellte ein Journalist die interessante Frage: „Wenn die Gitarre doch schon so beliebt und bekannt ist, warum wird sie denn dann noch Instrument des Jahres?“ Die Antwort: „Es ist richtig, dass dieses Instrument in der Beliebtheit ganz vorne liegt, aber die Gitarre hat kaum eine nennenswerte Lobby in den verantwortlichen Gremien des Musiklebens.“
Das ist die Crux! Doch wie kann das sein? Möglicherweise steht ihr die viel beschworene stilistische Breite sogar im Wege. Das veränderte Berufsbild, das fachliche Anforderungsprofil, die gesellschaftlichen und schulischen Rahmenbedingungen, all das spielt sicher in die Problematik mit hinein.

Anspruch, Erwartung und Wirklichkeit

Die Gitarre bietet sich als Unterrichtsinstrument wegen der vergleichsweise geringen An­schaffungskosten, der problemlosen Transporteigenschaften, wegen der vermeintlich „leichten Spielbarkeit“ und der universalen Einsatzmöglichkeiten an. Gitarrenlehrkräfte verfügen heute, ausgestattet mit besten künstlerisch-pädagogischen Qualifikationen, selbstverständlich über eine breit gefächerte Literaturkompetenz. Darüber hinaus erwartet man aber auch bis zur stilistischen Deutungshoheit Kompetenzen für:
– alle Bereiche der Folk- und Country-Spieltechniken,
– die südamerikanische Schule (Bossa Nova, Samba, afro-kubanische Spielelemente),
– Flamenco,
– Songwriting/Arrangement,
– die E-Gitarre im Rock-, Pop- und Jazzbereich einschließlich der komplexen Verstärkertechniken, Sounds und Effekte.
Diese Aufzählung zeigt, dass hier ein Spagat gefordert wird, den Absolventen einer Musikhochschule mit einem Bachelor-Abschluss selten leisten können. So wird inzwischen auf dem Markt die „eierlegende Wollmilchsau“ gesucht. Hinzu kommt, dass Musikhochschulen mit den Novellierungen ihrer Studiengänge und Stoffpläne auf die rasanten Entwicklungen, die bei der Gitarre stattfinden, nur sehr langsam reagieren. Als Folge sind Absolventen oft nur unzureichend auf die eigentliche Berufswelt vorbereitet.
Ein Schritt in die richtige Richtung wäre z. B. bei Klassik- und E-Gitarristen das Studium des jeweils anderen Instruments als Nebenfach. Die mit dieser instrumentalpädagogischen Kopplung verbundenen ausbildungsrelevanten Didaktik- und Methodentransfers sind aber bisher überhaupt noch nicht systematisch hinterfragt.
In einer Berufswelt, in der es immer mehr Honorarverträge statt Festanstellungen gibt, begreifen sich junge Berufsanfängerinnen und -anfänger – ob sie wollen oder nicht – schnell als „Selbstständige“, die jedoch in der Regel keine Ahnung von Betriebswirtschaft haben. Sie werden zu Gehetzten zwischen den verschiedenen Bildungseinrichtungen, an denen sie tätig sind. Auch hier müssten die Ausbildungsinstitute berufsrelevante und praxisnahe Vorlesungen zur Selbstständigkeit, auch in Kooperation mit Fachverbänden, anbieten.

Runder Tisch

Um all diese Themen kompetent aufzuarbeiten, fordere ich schon seit Jahren einen „Runden Tisch“. Spielerinnen und Spieler und Lehrkräfte aus dem Klassik- und E-Gitarrenbereich sowie Vertreter der European Guitar Teachers Association (EGTA) müssen z. B. dringend die Frage klären, in welchem Alter der frühinstrumentale Beginn auf der E-Gitarre pädagogisch verantwortbar ist. Wie ent­wickelt man hier gemeinsam ein Curriculum? Dazu gehört auch eine altersadäquate Klang- und stilästhetische Kriteriendiskussion. Der soeben erschienene VdM-Lehrplan Gitarre formuliert zu solchen aktuellen Themen bereits einige interessante Ansätze.
Aber wer setzt diese wichtigen, zukunfts­sichernden „Apps“ in den Hochschulen um? Wie viele Gitarrenprofessoren oder Dozentinnen sitzen in den entsprechenden Gremien und wie kann man erreichen, dass durch effiziente Lobbyarbeit neue Allianzen geschmiedet werden, um die erforderlichen „Gestaltungsmehrheiten“ zu erreichen? Warum leiten wir nicht durch den „Runden Tisch“ offensiv eine neue Kommunikationskultur im Sinne von „Gitarre plus“ quer durch alle Inst­rumentalbesetzungen an Musik- und Musikhochschulen ein? Hier bietet das reichhaltige Ensemble- und Kammermusikrepertoire für Gitarre und E-Gitarre für Crossover-Projekte reichlich Nahrung.
„Jugend musiziert“ als Flaggschiff unter den Jugendmusikwettbewerben feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Sukzessive wurden die Wertungskategorien für Gitarre erweitert bis hin zur Implementierung der verschiedenen Popmusikausschreibungen. Wiederum müssen die Gitarrenlehrkräfte reagieren und ihr technisches und musikalisches Know-how erweitern. Kaum ein anderes Inst­rument erneuert sich in ähnlich stilerweiternder Weise.
Dennoch fehlt es der Gitarre an Reputation in Rundfunk, Fernsehen und Konzertsälen. So hat sich die Gitarrenwelt ihren eigenen Kosmos geschaffen. Zahlreiche nationale und internationale Wettbewerbe, Workshops und Seminare, die in ganz Europa oft mit langer Tradition und hohen Teilnehmerzahlen aufwarten, zeugen von einer kreativen und agilen Szene. Veranstalter sind oft private Initiatoren, Vereine, Fach- und Laienmusikverbände, unterstützt von überzeugten Sponsoren!
Schmort hier die Gitarre (unfreiwillig) im eigenen Saft?

Bedarfsdiskussion

Dagegen werden Zug um Zug hauptamtliche Stellen an Musikschulen und Hochschulen zurückgefahren und der Trend zu noch mehr Honorarkräften ist unübersehbar. Diese Entwicklung ist desaströs und das mühsam von der Generation der 1960er und 1970er Jahre aufgebaute Image eines Kulturinstruments steht auf dem Spiel. Unter diesen Rahmenbedingungen droht das Instrumentalstudium Gitarre auszubluten!
Als „Patchworker“ wird der Gitarrenlehrer zwar überleben, aber zur Ausübung eines pädagogischen Berufs in Würde gehört doch mehr. Allein der Wegfall eines kontinuierlich kommunizierenden Kollegiums muss zwangs­läufig zu einer Entfremdung führen. Diese Lehrkräfte haben ihre soziale Heimat verloren. Ein Lehrer, der in der oben beschriebenen Art fachlich so differenziert gefordert ist, kann keine große Freude an seinem Beruf finden, wenn er als Kleinunternehmer ständig seine Existenzsicherung meistern muss. Schon heute registrieren wir einen Rückgang der Fortbildungsbereitschaft: Dieser Lehrertyp hat – wie auch die Schülerinnen und Schüler oder die Studierenden – keine Zeit mehr.
Ich will hier nicht schon wieder die Bedarfsdiskussion aufwärmen, aber ein so nachgefragtes Instrument gehört unbedingt mit den entsprechenden Fachvertretern in die Fachbereiche und Senate der Hochschulen. Der dringende Bedarf an seriös ausgebildeten Gitarrenlehrkräften wird auch deutlich, wenn man sich die Statistik des VdM (2012)2 ansieht. Danach steht die Gitarre in der Beliebtheitsskala an VdM-Musikschulen weit oben. Und Birgit Walter, Programmleitung und Vorstand der Stiftung Jedem Kind ein Instrument, erläutert: „Die Gitarre ist bei der Inst­ru­mentenwahl im Rahmen des Programms ,Jedem Kind ein Instrument‘ das meistgewählte Instrument bei Jungen und Mädchen.“3
Gerade mit Blick auf die instrumentalpädagogische Versorgung an Musikschulen, zunehmend auch im Bereich EMP, mit Blick auf den sich aktuell anbietenden Markt für Erzieherinnen („Musik von Anfang an“) und nicht zuletzt durch die Entwicklung zur Ganztagsschule zeichnet sich eine starke Nachfrage nach gut ausgebildeten Gitarrenlehrkräften ab, die zurzeit nicht befriedigt werden kann. Hinzu kommt eine auffällige Hinwendung von jugendlichen Spielern zur E-Gitarre. Sie drängen immer stärker in die Musikschulen und in den freien Unterrichtsmarkt.
Auch die steigenden Anmeldezahlen bei „Jugend musiziert“ unterstreichen diesen Trend. Eine Tatsache, die aufhorchen lässt, denn hier wachsen die talentierten Kultur-Multiplikatoren für unsere Gesellschaft heran, die versorgt werden müssen. Die von mir beobachtete Stellenbewirtschaftung an Musikschulen und Musikhochschulen ist hingegen absolut kontraproduktiv und berücksichtigt nicht annähernd die angemessene Bedeutung dieses Instruments im heutigen Unterrichts- und Musikbetrieb.
Ich appelliere daher an alle Verantwortlichen im Musik- und Hochschulbereich, zur Befriedigung des starken Bedarfs nach ausgebildeten Gitarrenlehrkräften sowohl im klassischen wie im E-Gitarrenbereich, zur regionalen Versorgung der Musikschulen und ihrer Kooperationspartner, sich dieser Entwicklung nicht zu entziehen und der Gitarre den ihr gebührenden Platz im Kanon der Instrumente zu sichern.
Übrigens: Vielleicht hat die Gitarre doch eine Lobby. William Starling berichtet in seiner Biografie über den Gitarristen John Williams,4 dass Yehudi Menuhin schon immer die klassische Gitarre in den Fächerkanon seiner Menuhin School of Music in Surrey aufnehmen wollte. Dies konnte dann endlich 2004 geschehen, und zwar aufgrund eines Stipen­diums durch die Rolling Stones.

1 www.instrument-des-jahres.de
2 Verband deutscher Musikschulen, www.musikschulen.de > Was sind Musikschulen > Zahlen und Fakten > Die beliebtesten Instrumente (Stand: 17.04.2013).
3 Gespräch mit dem Autor vom 16. April 2013.
4 William Starling: Strings Attached. The Life & Music of John Williams. The Authorised Biography, The Robson Press, London 2012, S. 64.

Literatur
– Eickholt, Alfred: „Gitarrenunterricht im Spagat zwischen Breitenarbeit und Spitzenförderung“, Musikschulkongress 2011, www.musikschulen.de/medien/doks/mk11/ AG%2022.pdf (Stand: 11.04.2013).
– Kreidler, Dieter: Impulsreferat im Rahmen des 2. Weimarer Gesprächs 2006, zu beziehen über die EGTA-D, www.egta-d.de/page/dokumentationen.html
– Mahlert, Ulrich: „Höhen und Tiefen. Berufsalltage von Musikschul- und Privatmusiklehrkräften“, in: üben & musizieren 1/2013, S. 6-9.
– Verband deutscher Musikschulen (Hg.): Lehrplan Gitarre, Kassel 2012

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