Gries, Peter

Max Rostal – Künstler und Lehrer

Ein Beitrag zu einer Theorie instrumentalpädagogischer Professionalität

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Müller & Schade, Bern 2012
erschienen in: üben & musizieren 2/2013 , Seite 55

Peter Gries hat den umfangreichen Nachlass des berühmten Geigers und Lehrers Max Rostal aufgearbeitet. Wer Rostal wie ich persönlich im Unterricht, auf einem seiner zahlreichen Meisterkurse oder als Solist erleben konnte, kann sich an die ungeheure Faszination erinnern, die von ihm ausging und der man sich kaum entziehen konnte. Rostal polarisierte – und seine künstlerische Hinterlassenschaft, seien es die leider wenigen Tonaufnahmen oder seine Fingersätze, tut es bis heute.
Gries kommt das Verdienst zu, den umfangreichen Bestand des Privatnachlasses aufgearbeitet zu haben. Kaum zu fassen, dass Rostal seine gesamte Korrespon­denz, seine Manuskripte, seine Unterrichtsaufzeichnungen und Schülerdateien, seine Fingersätze, Konzertprogramme, Kritiken usw. über fast acht Jahrzehnte sammelte und ordnete!
Rostals Karriere vollzog sich im Schatten einer technischen Revolution, die die Musikwelt nachhaltig veränderte. Die Aufnahmetechnik etablierte neben der Konzertsituation eine zweite künstlerische Praxis. Eine fle­xible und variable, aber auch ­zuverlässige Spieltechnik war daher für Rostal die Grundlage einer wirklichen künstlerischen Entscheidungsfähigkeit.
Eingedenk der Tatsache, dass eine Tonaufnahme die Schwächen einer Bühnenleistung schonungslos dokumentiert, war er nicht bereit, Einschränkungen der Ausdrucksfähigkeit zugunsten einer sicheren spieltechnischen Realisierung hinzunehmen. Aus dieser Überzeugung erwuchs bei ihm die Vorstellung einer Verpflichtung zum lebenslangen Erhalt und Ausbau der Spieltechnik.
Bei der Erarbeitung eines Werks im Unterricht war es für ihn selbstverständlich, dass die Interpretation auf den Urtext gründete. Gerade in diesem Punkt hat Rostal die Musikwelt nachhaltig beeinflusst und zum Siegeszug der Urtextkultur beigetragen. Trotzdem bezeichnete er sich selbst gern als „den letzten Romantiker“.
Peter Gries’ Arbeit ist faszinierend, denn sie zeichnet nicht nur die Besonderheiten der rostalschen Spieltechnik und ihrer Vermittlung oder die Eigentümlichkeiten der Fingersätze und Übungen nach. Es gelingt dem Autor, Querverbindungen zwischen Rostal als Mensch, Künstler, Geiger, Interpret und Lehrer (so auch die Einteilung der Kapitel) zu etablieren, aus denen die Einheitlichkeit des Gedanken­gerüsts und der künstlerischen Überzeugungen deutlich wird, auf denen die Faszination und das „Geheimnis“ seines Unterrichts beruhte. Als erfahrener Lehrer und Direktor der Musikakademie der Stadt Kassel verfügt Gries über umfangreiche Erfahrungen und einen geschärften pädagogischen Blick. Die Arbeit ist sorgfältig, ohne sich in Details zu verlieren, kraftvoll in der Sprache und ein Gewinn nicht nur für Nostalgiker, sondern auch für alle jene, die sich heute der Aufgabe des Unterrichts widmen.
Jörg-Wolfgang Jahn