Villa-Lobos, Heitor

Douze études pour guitare seule

edition critique de Frédéric Zigante

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Durand, Paris 2011
erschienen in: üben & musizieren 2/2013 , Seite 63

Villa-Lobos’ zwölf Etüden nehmen innerhalb des gitarristischen Repertoires eine zentrale Stellung ein. Weltweit sind die Aufführungen und Einspielungen, die seit der Veröffentlichung 1953 realisiert worden sind, kaum zu überblicken. Dem gegenüber stand jahrzehntelang eine Text-Vorlage, die viele Fragen offen ließ und immer wieder für Diskussionen sorgte.
Besonders augenfällig wurde dieser Umstand, als die Existenz eines Autografs von 1928 bekannt wurde, das eine wesentlich elaboriertere Textvariante als die zugängliche Notenausgabe vorzuweisen hat. Seit Ende der 1990er kursierten auch Kopien dieses Manuskripts und Artikel über die weitreichenden Divergenzen zur Eschig-Ausgabe fanden sich weltweit in den Fachmagazinen.
2011 erschien bei Durand die jetzt vorliegende Ausgabe, die neben dem Abdruck des reinen Notentextes, der 50 Seiten umfasst, zum ersten Mal auch umfassend (auf Französisch, Italienisch und Englisch) und detailgenau auf wesentliche Aspekte der Werkgeschichte eingeht. Das Entstehen des Zyklus, der 1928 beendet wurde, beleuchtet der Herausgeber, indem er zuallererst das Aufeinandertreffen von Villa-Lobos und Segovia schildert. Anschließend beschreibt er die erste Niederschrift von 1928, die aber trotz ihrer Genauigkeit nicht als Vorlage der späteren Druckfassung verwendet wurde. Erst eine zweite Niederschrift, die auf 1947/48 datiert werden kann, mündete dann in der Druckfassung von 1953.
In dieser zweiten Fassung wurden vom Komponisten einige Eingriffe vorgenommen, die den heutigen Herausgeber dazu veranlasst haben, die Étude No. 10 im Anhang noch einmal vollständig in der Version des ersten Manuskripts abzudrucken.
Zigante hat sich entschlossen, die zweite Niederschrift als Grundlage für seinen Notentext zu nehmen, da er der Absicht des Komponisten folgen wollte. Dabei werden aber die umfangreichen Fingersätze des ersten Manuskripts integriert. Genauso findet sich in der neuen Ausgabe die Unterscheidung zwischen Me­lodienoten, die in normaler Größe gedruckt sind, und den Noten der anderen Stimmen, die kleiner gehalten sind. Der Abdruck mehrerer Faksimile Seiten illust­riert ebenfalls den editorischen Anspruch dieser Ausgabe.
Zigante stellt die editorischen Kriterien vor, die er seiner Ausgabe zu Grunde legt, und begründet seine Entscheidungen den Notentext betreffend. Im Anhang findet sich noch zu jeder einzelnen Etüde ein umfangreicher Kritischer Kommentar, eine Auflistung existierender Varianten und bei einigen Etüden noch ergänzende Beobachtungen.
Frédéric Zigante hat eine vorbildliche Ausgabe vorgelegt, die eine immense Detailkenntnis und Sorgfalt demonstriert. Der Druck ist hervorragend und der Preis dem Gegenwert angemessen. Das Warten auf diese Ausgabe hat sich gelohnt!
Andreas Stevens-Geenen