Brandenburgisches Notenbuch Vol. 2

Neue Stücke für Musikschulen für Violine und Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Friedrich Hofmeister, Leipzig 2011
erschienen in: üben & musizieren 4/2012 , Seite 63

Wie führt man Kinder und Jugendliche behutsam an Musik unserer Zeit heran? Kein Lehrer, der sich diese Fragen nicht des Öfteren stellt. Wege und Ansichten gibt es viele, aber in zwei Punkten dürfte Übereinstimmung herrschen: Die Beschäftigung mit zeitgenössischer Musik von früh an ist eine absolute Notwendigkeit und alles beginnt mit pädagogisch geeignetem, dabei musikalisch hochwertigem Repertoire. Es fing an mit Erich und Elma Doflein. Die beiden ließen sich bereits Anfang der 1930er Jahre für ihre bahnbrechende Violinschule passende Stücke unter anderem von Bartók (44 Duos) und Hindemith schreiben. Seither sind 80 Jahre ins Land gegangen, in denen es zahlreiche Versuche gegeben hat, diese Tradition erweiternd fortzuschreiben und Vergleichbares für die Musik unserer Zeit zu schaffen.
Zu den aus meiner Sicht musikalisch und pädagogisch überzeugenden Sammlungen zählt das Augsburger Violinbuch (hg. vom Tonkünstlerverband Bayern e. V. im Verlag Neue Musik, Berlin) aus dem Jahr 2010. Ein ähnliches Projekt stellt der Landesverband der Musikschulen Brandenburg mit dem Brandenburgischen ­Notenbuch vor, dessen zweiter Band nun bei Friedrich Hofmeister in Leipzig erschienen ist.
Die acht Werke für Violine und Klavier sind spieltechnisch insgesamt einfacher gehalten als diejenigen des Augsburger Violinbuchs, der Geiger oder die Geigerin kommt zumeist ohne Lagenspiel aus. Das bildhafte Element steht, wie bereits die Überschriften verraten, im Vordergrund. Unauffällig und so weit wie möglich eingepasst in kindliche Erfahrungswelten wird „Modernes“ beigemischt.
Immer in Bewegung von Gisbert Näther spielt mit synkopierten Akzenten „gegen die Laufrichtung“, Die Grille und die Nachtigall von Niels Templin verzichtet auf Taktstriche, bedient sich statt Metrik verschieden langer Sechzehntel-Patterns im Klavier, denen die Violine natürliche Flageolett-Töne und sogar Flageolett-Glissandi entgegenstellt. Die Vorzeichenfalle, ebenfalls von Templin, trainiert das Lesevermögen bei Taktüberbindungen, die dritte der Miniaturen von Stefan Lienenkämper, Central Park in der Morgendämmerung, verlangt das Streichen auf und sogar hinter dem Steg („…so wie Vogelgezwitscher!“).
Am weitesten experimentell zeigt sich René Hirschfeld: In Das Geheimnis und in Katzenmusik darf der Geiger oder die Geigerin unter anderem mit der Bogenstange streichen und mit den Fingern auf den Instrumentenkorpus trommeln; lange Glissandi und Vierteltonvibrato gehören ebenfalls zum Instrumentarium, während der Pianist mit einem Bleistift über die Saiten glissiert oder in Lied aus der Ferne einen Cluster stumm niederdrückt und bis zum Ende des Stücks hält.
Bei aller pädagogischen Absicht sind alle Stückchen des Bandes hübsche und lebendige Musik, durchaus auch geeignet als Wettbewerbsrepertoire für „Jugend musiziert“. Eine sehr willkommene Veröffentlichung.
Herwig Zack