Mönig, Marc

Man muss das Rad nicht ständig neu erfinden

Asmus Hintz über sein Ausschei­den bei Yamaha und sein neues Unternehmen „conmusica“

Rubrik: Gespräch
erschienen in: üben & musizieren 6/2011 , Seite 46

Asmus Hintz, 37 Jahre im Unternehmen Yamaha tätig, davon 24 Jahre lang hauptverantwortlicher General Manager für den Bereich Music Education bei Yamaha, hat im Januar 2009 nach Erreichen des 60. Lebensjahres auf eigenen Wunsch Yamaha verlassen. Im August 2011 gründete er zusammen mit zwei weiteren Partnern das Unternehmen conmusica – Institute for Modern Music Education. Ziel von conmusica ist es, “allen im musikpädagogischen Bereich Tätigen (Musikpädagogen, Musikschulen, Kindergärten, Erzieherinnen, Ausbildungsinstitutionen) den Zugang zu innovativen Materialien für die Unterrichtspraxis, zu erfolgreichen unternehmerischen Konzeptionen und einem vielfältigen Fortbildungsangebot in den Bereichen Musikpädagogik und Management” (www.conmusica.org) zu bieten. Asmus Hintz lehrt an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg im Institut für Kultur- und Medienmanagement.

Herr Hintz, weshalb haben Sie sich entschlossen, conmusica ins Leben zu rufen?

Um meine musikpädagogischen Vorstellungen zu verwirklichen und keine Kompromisse mehr einzugehen, wie es im Rahmen meiner Tätigkeit für Yamaha des Öfteren notwendig war. In den musikpädagogischen Programmen Yamahas, sofern sie aus Japan kamen, fanden und finden unsere kulturhistorischen Wurzeln keine oder allenfalls marginale Berücksichtigung. Aber Musikpädagogik muss insbesondere kleinen Kindern die kulturelle Identität ihres Landes vermitteln, z. B. über Volkslieder. Diese dürfen den Kindern nicht vor ent – halten werden durch ein Musikerziehungsprogramm, das darauf abhebt, ein weltweit einheitliches, überall gleich funktionierendes Produkt sein zu wollen. Wir müssen die nationalen kulturellen Eigenarten respektieren, um die kulturelle Identität lebendig zu erhalten. Dazu gehört auch, dass man in der Pädagogik andere Wege geht als beispielsweise Lehrer so auszubilden, dass sie alle in einer Stunde mit dem gleichen Stoff die gleichen Handlungen vornehmen und in einer gleichgeschalteten Weise mit den Kindern, seien es jetzt chinesische oder deutsche, arbeiten. Unterricht ist eben kein Produkt, sondern eine Dienstleistung, die sehr individuell ausfällt, weil sie von den handelnden Personen, den Schülern und Lehrern und ihren Zielen beeinflusst wird.

Das entspricht nicht unbedingt den Grundsätzen, die Sie früher während Ihrer Zeit bei Yamaha vertreten haben. Konnten Sie damals als Mitglied des Unternehmens nicht anders handeln oder haben sich Ihre pädagogischen Überzeugungen geändert?

Da muss ich Ihnen entschieden widersprechen. Wenn Sie die Yamaha-Programme anschauen, die ich hier in Europa verantwortet und mitentwickelt habe – Robbie, KraKi, Wunderland Musik, die Programme für Keyboard, Klavier, Gitarre und Blockflöte –, so werden sie feststellen, dass diese zutiefst europäisch sind. Meine darin manifestierte pädagogische Philosophie ist absolut deckungsgleich mit dem, was ich heute vertrete. Die Überarbeitungen des Programms Hörbie und Tönchen erleben Musik wiederum zeugen von einer wechselvollen Geschichte im Spannungsfeld zwischen japanischer oder europäischer Ausrichtung und Inhaltsfüllung. Dieser Kampf scheint mit der neuen Version erst jetzt ein Ende gefunden zu haben, da die reine Lehre, wie sie in Asien praktiziert wird, in allen Yamaha-Musikschulen übernommen werden soll.

Sehr genaue Vorgaben, eine Internationalisierung der Materialien und eine Übernahme von japanischen Methoden gab es aber doch auch schon während Ihrer Zeit. Müssen Sie sich nicht den Vorwurf gefallen lassen, jahrelang etwas mitgetragen zu haben, das nicht Ihren Überzeugungen entsprach?

Im Gegenteil: Ich habe jahrzehntelang verhindert, dass die einseitige Ausrichtung der musikpädagogischen Programme von Yamaha so durchgeführt wird, wie es jetzt geschehen soll. Mit mir als Verantwortlichem hat man sich nicht getraut, diesen Weg zu gehen. Im Bereich des Programms Hörbie und Tönchen hatte ich keinerlei Mitspracherechte. Das war von Japan als Herzstück der Yamaha-Pädagogik gesetzt und außerhalb meines Einflussbereichs. In den anderen Bereichen der frühkindlichen musikalischen Bildung oder bei den Instrumentalprogrammen, für die ich allein zuständig war, hatte ich hingegen freie Hand und habe den Handlungsspielraum voll genutzt.

Gibt es darüber hinaus seit Ihrem Weggang weitere Veränderungen bei Yamaha, die Sie darin bestärkt haben, conmusica ins Leben zu rufen?

Ja. Als ich Yamaha verließ, war bereits Beschlusslage, dass die Programme Robbie, KraKi und Wunderland Musik, die wir hier in Deutschland entwickelt haben, mittelfristig wegfallen sollen. Das Programm Wunderland Musik, das wir als europäische Alternative zum japanischen Hörbie und Tönchen-Programm entwickelt hatten, existiert bei Yamaha schon heute nicht mehr. Außerdem hat es Veränderungen für die Franchise- Nehmer gegeben. Als ich zuständig war, haben wir uns darum bemüht, dass die Partner mit den Franchise- Gebühren in Form einer schülerunabhängigen Grundgebühr gut leben konnten. Für diese Grundgebühr haben wir eine ganze Palette an Dienstleistungen erbracht: Seminare im Bereich Pädagogik und Musikschulmanagement, Werbekampagnen, Betreuung und Beratung usw. Die Balance zwischen Gebühr und Leistung war sehr ausgewogen. Nun hingegen sollen alle Partner-Musikschulen sechs bis zehn Prozent ihres Umsatzes an Yamaha als Franchise-Gebühr abführen. Gegenüber der pauschalen Grundgebühr kann das je nach Schülerzahl eine immense Erhöhung bedeuten, die wirtschaftlich nicht realisierbar ist. Sie haben z. B. ein Musikschulgebäude erworben, eine Finanzierung laufen, sich darauf verlassen, dass die Lizenzgebührzahlungen nicht erhöht werden, weil Ihnen das fest zugesagt wurde, und plötzlich verlangt Ihr Lizenzgeber das Zigfache von Ihnen. Sie überlegen, ob und wie Sie das wirtschaftlich stemmen können, aber Yamaha ignoriert Ihre Sorge und rät zur Erhöhung der Unterrichtsgebühren. Da jeder weiß, dass der Markt das nicht hergeben wird, sind die Partner gezwungen, sich neu zu orientieren, nach Alternativen zu suchen.

Und conmusica ist so eine Alternative?

Ja, allerdings nicht nur für Yamaha-Musikschulen, son – dern conmusica arbeitet mit allen im musikpädagogischen Bereich tätigen Menschen und Institutionen zusammen, z. B. mit privaten und kommunalen Musikschulen oder auch Kindergärten. Wir sind kein Franchise- System, unsere Produkte und Dienstleistungen kann jeder in Anspruch nehmen, der daran interessiert ist. Conmusica ist eine Kapitalgesellschaft und finanziert sich wie jeder andere Verlag auch aus den Verkaufserlösen der Bücher und in unserem Fall zusätzlich aus Erlösen unserer Seminar- und Management-Beratungstätigkeit. Wir setzen mit unserem Angebot im sechsten Schwangerschaftsmonat an. Das unterscheidet uns von Yamaha und vielen anderen Anbietern.

Spielen Sie da nicht im Grunde mit dem schlechten Gewissen von werdenden Müttern, nur das Beste für ihr Kind tun zu wollen?

Wie kommen Sie auf diesen Gedanken? Erstens: Nur weil etwas neu ist, braucht niemand, der es noch nicht kennt oder gerade etwas darüber erfährt, ein schlechtes Gewissen zu haben. Zweitens: Da Mütter stets das Beste für ihre Kinder wollen, werden sie sich auf jeden Fall verantwortungsbewusst informieren und darauf basierend ihre Entscheidungen treffen. Unser Programm Ins Leben mit Musik bildet das Fundament eines strin – genten Curriculums für frühkindliche musikalische Bildung vom sechsten Schwangerschaftsmonat an bis zum sechsten Lebensjahr. Dieses Curriculum fördert musikalische Bildungsprozesse, die unsere Musikkultur abbilden und den Kindern und Eltern einen Zugang zu unserem kulturellen Erbe ermöglichen.

Welche Vorstellung musikalischer Bildung legen Sie einem solchen Satz zugrunde?

Je nach Ausrichtung und Interessenlage variieren die Ansichten erheblich darüber, was unter „Bildung“ verstanden werden sollte. Nach unserem Bildungsverständnis sollen die Kinder zum Selbstverstehen, zum Begreifen und Aneignen der sie umgebenden Welt befähigt und ihnen die Möglichkeit gegeben werden, musikpraktische Kompetenzen zu erwerben. Musika – lische Bildung zeigt sich in der Fähigkeit, Musik musizierend erleben, darstellen und verstehen zu können. Musikalische Bildung ist nur dann möglich, wenn durch das Hören, Fühlen und Nachdenken über Musik musikalische Erfahrungen gemacht werden können. Sie äußert sich in der Kompetenz, mit Musik produzierend, reproduzierend, improvisierend und interpretierend umgehen zu können. Der Erwerb frühkindlicher Musik- Kompetenz geht einher mit der Entwicklung der Sprach- Kompetenz, also mit der Fähigkeit, in den Strukturen sprachlicher Grammatik eigene Gedanken artikulieren zu können.

Das klingt stark danach, als würde Musik als eine Sprache verstanden.

Ja. Und daraus resultieren verschiedene Leitlinien des Musiklernens mit unseren Materialien: Erstens wird Musik wie eine Sprache gelehrt und gelernt; daher werden zweitens Methoden des Spracherwerbs auf musikpädagogische Zusammenhänge, u. a. durch das Einbeziehen sprachlicher Bedeutungsträger (z. B. Sol – misationssilben), übertragen; drittens wird dieser Kommunika tionsprozess durch die Kombination von Musikhören, Singen und Sprechen, Imitieren und Improvisieren aktiv und abwechslungsreich gestaltet; viertens wird die Fähigkeit gefördert, sich musikalische Ereignisse und Strukturen vorstellen und sie vor der Umsetzung (durch Gesang oder Spiel) vorausdenken zu können; fünftens werden Voraussetzungen für die Ent – wicklung konkreter musikalischer Fähigkeiten geschaffen und schließlich sechstens die musikalischen Ele – men te Rhythmik, Melodik, Harmonik, Dynamik, Tempo, Tonlagen, Artikulation usw. sowie das Singen auf Sol – mi sationssilben bewusst als musikalische Ausdrucksmittel eingesetzt. Musik wird als Kommunikationsmittel für die Kinder selbstverständlich. Ihr musikalisches Gehör wird aus gebildet und ihre Sprachkompetenz gestärkt. Wir ver suchen den Kindern mit unseren Pub – likationen ein Lernangebot zu machen, welches dem sprachlichen Reizangebot im jeweiligen Entwicklungsstadium ent spricht. Durch das Sprechen und Anhören von Versen, das Singen von Liedern, das Hören und Musizieren von Musikstücken unterschiedlicher Genres werden vielfältige musikalische Repräsentationen aufgebaut…

…wobei die Arbeit mit Musikbeispielen, Liedern, Bildern und Versen, eingebunden in Lebenskontexte, ja doch sehr an die Konzeption von KraKi und Wunderland Musik aus der Yamaha-Pädagogik erinnert.

Ja, schließlich sind diese Materialien auch unter meiner Leitung und Mitwirkung entstanden. Man muss das Rad nicht ständig neu erfinden, Bewährtes soll man beibehalten. Es kommt immer darauf an, in welchem Kontext und mit welcher Zielsetzung vorgegangen wird.

Schaut man sich die Programme von conmusica an, so fällt auf, dass bestimmte Unterrichtselemente programmübergreifend immer wieder vorkommen und so ein strukturelles Ineinandergreifen der Programme intendiert scheint. Was kann denn ein Schüler, der den gesamten Lehrgang von vor der Geburt bis zum sechsten Lebensjahr durchlaufen hat?
Dieses Kind kann im Violin- und Bass-Schlüssel Noten lesen; es weiß, was Vorzeichen bedeuten. Es kann sehr sicher singen, melodisch hören, harmonische Zusammenhänge erkennen und musizierend mit einfachen Kadenzen umgehen. Es hat ein sicheres Gefühl für Metrum entwickelt und kann mit anderen im Ensemble musizieren. Es hat die ganze Palette der Instrumente des Sinfonieorchesters kennen gelernt und kann sich musikalische Strukturen voraushörend vorstellen.

Nun erschließt sich nur über einen Blick in die Materialien nicht unbedingt, wie damit Unterricht zu gestalten ist. Wie vermitteln Sie potenziellen Lehrkräften diese Kompetenz?

Wir haben ein umfangreiches Seminarangebot, das von allen Interessierten gebucht werden kann. Außerdem gibt es Handreichungen für Lehrkräfte, und in Kürze wird es auch ein Gesamtcurriculum dazu geben. So können sich die Lehrkräfte dann ein Bild machen, wie der Unterricht laufen könnte, weil wir nur Anregungen geben können und wollen. Uns ist wichtig, dass die Lehrkräfte sich mit ihren Fähigkeiten und ihrer Person in den Unterricht einbringen.

Gewähren Sie eine Form von Gebietsschutz – wie etwa im Yamaha-Franchise-System – für Institutionen, die mit conmusica-Materialien arbeiten?

Nein. Wettbewerb findet immer und überall statt. Das fördert die Kreativität und Leistungsfähigkeit aller Be – teiligten. Die Differenzierung muss über die Qualität des Unterrichts und des Musikschulmanagements er – folgen. Dafür bieten wir Musikschulen an, sich in einem von uns entwickelten Qualitätsmanagementsystem zertifizieren zu lassen. Dieses hilft der Musikschulleitung zudem, verschiedenen Herausforderungen zu begegnen: in der Führung des Personals, in der Personalbeschaffung, im administrativen Bereich, im Gebäudemanagement und in der Ausstattung des Unternehmens mit Vision, Mission und Leitbild. Ergänzend bieten wir die Ausbildung zum Musikschulmanager an, in der alles vermittelt wird, was man zur Führung auch einer großen Musikschule braucht, von der betriebswirtschaftlichen Seite bis hin zur Mitarbeiterführung.

Wir haben noch nicht über die Instrumentalprogram – me gesprochen, die ja auch zum Angebot von conmusica gehören.

Im Augenblick haben wir Instrumentalprogramme für akustische Gitarre, E-Gitarre, Schlagzeug, Keyboard und Klavier vorgesehen und sind offen für andere Instrumente, so sich denn der Bedarf dafür zeigt. Der nächste zu entwickelnde Bereich wird sich dem Musizieren mit älteren Erwachsenen widmen. Im Bereich Keyboard und Klavier arbeiten wir mit dem Material von Axel Benthien aus dem Schott-Verlag.

Damit greifen Sie auf bereits seit Längerem existierende Unterrichtswerke zurück. Suggerieren Sie damit nicht eine vordergründige Angebotsvielfalt, weil noch keine genuinen Eigenentwicklungen vorliegen?

Bis zum Ende dieses Jahres werden wir bereits 13 Unterrichtswerke, zum großen Teil mit CDs, veröffentlicht haben. Gerechnet auf unsere zweijährige Vorlaufzeit ist das eine sehr beachtliche Produktivität. Unser Programmportfolio ist von genuinen Eigenentwicklungen geprägt. Jeder Gedanke an das Vorspiegeln vordergründiger Angebotsvielfalt verbietet sich von daher. Wir haben uns entschlossen, mit dem Material von Axel Benthien zu arbeiten, weil dieses didaktisch wegweisend war und ist und sich hervorragend eignet für den Gruppenunterricht. Für diese Materialien wurden noch nie systematisch Lehrerfortbildungen veranstaltet. Das ändern wir durch unser Seminarangebot. Warum sollen wir etwas hinzufügen, was andere schon in besonders guter Art und Weise entwickelt haben? Das gilt auch für andere Bereiche, in denen wir künftig noch tätig werden.