Die Befreiung des Klangs

„Ich möchte, wenn ich auf der Bühne bin, nur noch Musik machen und nicht gegen eine Materie ankämpfen.“ Welche Sängerin hegt nicht den Wunsch, den die Sopranistin und Gesangspädagogin Verena Rein hier ausspricht? Leider sind es immer nur einige wenige, die sich irgendwann einmal seiner Erfüllung erfreuen dürfen – und wenn überhaupt, so geht dem nicht selten eine Odyssee durch verschiedene Gesangsschulen vo­raus, die alle gegeneinander anzutreten scheinen.
Was ist richtig, was falsch? Weshalb ist es so schwierig, neue Wege in der Gesangstechnik einzuschlagen? Warum werden alte Gesangsvorschriften weder hinterfragt noch überprüft, obwohl sie hörbar Stimmschäden zur Folge haben? Die Suche nach Be­antwortung obiger Fragen und der unbedingte Wunsch nach Befreiung ihrer eigenen Stimme führten Verena Rein zum bulgarischen Tenor Peter Gougaloff, der als Arzt, Logopäde und Sänger nach jahrelanger Stimmforschung herausfand, dass der mittlere Zentralvokal „Schwa“ eine enorme Bedeutung für einen frei fließenden Ton hat. Wird dieser Laut in jeden Vokal integriert, führt dies zu einem idealen Ober­tonspektrum, das Leichtigkeit und Tragfähigkeit garantiert.
In Die Befreiung des Klangs stellt Verena Rein eine Gesangstechnik vor, die auf der italienischen Belcantoschule und dem Wissen um die Bedeutung des Zentralvokals basiert und SängerInnen in allen Lagen größtmögliche Elastizität und pulsierende Durchlässigkeit verspricht. Hierzu trainiert sie mit drei professionellen SängerInnen (Sopran, Alt, Bariton) eine spezielle Zungentechnik, welche die Zunge als „Lenker“ versteht, die den Klang in die spezifischen Resonanzräume führt. Die fein herausgearbeitete Zungenrota­tion löst nicht nur Registerprob­leme, sondern ermöglicht einen äußerst differenzierten Atemfluss.
Für den Zuschauer und vor allem Zuhörer ist klar erkennbar, welch wichtige Rolle diese Technik sowohl hörbar als auch visuell spielt: Der Klang schwebt frei durch den Raum, wobei die Mimik des Sängers oder der Sängerin von authentischer Natürlichkeit und Lockerheit zeugt. Neben Befragungen der SängerInnen, die kritisch und nachvollziehbar ihre Eindrücke schildern, komplettiert Verena Rein das unbedingte Rüstzeug aller SängerInnen, indem sie ein speziell von ihr entwickeltes Auftrittstraining vorstellt, in dem die stimmlichen Freiheiten auch in die Körpersprache und den Gesamtausdruck des Einzelnen integriert werden. Faszinierend ist hierbei die Klarheit und Einfachheit der von ihr aufgezeigten Zusammenhänge zwischen Text, Musik und Körperlichkeit, die sich ohne weitere Vorkenntnisse sowohl von Profis als auch Laien erfahren und umsetzen lassen.
Als Sängerin bin ich noch immer überrascht, welch spürbare Erleichterung die Anwendung dieser, auch mit Hilfe von erläuternden Skizzen dargestellten Zungentechnik verschafft!
Kathrin Feldmann