Hindemith, Paul

Spielbuch für Violinen

41 Übungsstücke für 2 (oder 1) Violinen zum "Geigen-Schulwerk" von Erich und Elma Doflein, Spielpartitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2011
erschienen in: üben & musizieren 6/2011 , Seite 63

Musik lernt man am besten verstehen, wenn man sie selbst spielt. Das gilt insbesondere auch für Neue Musik. Die Unterrichtsliteratur, die sich speziell mit Violinmusik des 20. Jahrhunderts befasst, ist eher spärlich. Im Wesentlichen sind es die 44 Duos für Violine von Béla Bartók, die heute zum Standard­repertoire gehören. Sie entstanden auf Anregung des Musikwissenschaftlers Erich Doflein, der 1932 seine Geigenmethode he­rausgab, die richtungsweisend für die Musikpädagogik des 20. Jahrhunderts wurde. Dem Geigen-Schulwerk lag die Idee zugrunde, dass die SchülerInnen nicht anhand von Etüden, sondern von Originalkompositionen zugleich Technik und Vortrag erlernen. Neben Musik früherer Jahrhunderte umfasste es auch zeitgenössische Werke, so die eigens von Bartók für das Schulwerk komponierten Duos.
Wenig bekannt ist, dass Doflein auch Paul Hindemith zur Komposition solcher pädagogisch ausgerichteter Duos anregte, von denen über den Krieg 41 Stücke erhalten blieben, die 2009 in der Hindemith-Gesamtausgabe erschienen sind. Für die Praxis gab nun Luitgard Schader das Spielbuch für Violinen heraus. Sind in Bartóks Duos vor allem rumänische und ungarische Melodien vereint, lernt man in Hindemiths Stücken eine aus dem Kontrapunkt und der Polyfonie in der Tradition Bachs und Regers entwickelte neue Ton- und Klangsprache kennen.
Hindemiths Stücke begnügen sich mit dem Tonbereich der 1. Lage. Das Spielbuch beginnt mit kurzen Kompositionen und führt sofort in das polyfone Spiel ein: Das erste Duo ist ein „Kleiner Kanon“, in dem der Spieler lernt, seine Intonation auf frei einsetzende Septimen oder Quarten einzustellen. In den anfangs kurzen Stücken werden zum Beispiel Pausen, die Rückung des ersten Fingers, Portato, Saitenwechsel oder Triller geübt. Ab dem 24. Duo werden die Kompositionen länger und sie entwi­ckeln sich zu Vortragsstücken. Dabei werden Doppelgriffe und Chromatik geübt. Anspruchsvolle Fugen und expressive Charakterstudien fordern zugleich Technik und Musikalität.
Am Schluss des Spielbuchs stehen zwei anspruchsvolle, für das Konzert geeignete Werke. Das „Kanonische Vortragsstück für zwei Geigen“ besteht aus drei Kanonkompositionen, die hohe Anforderungen an Technik, Agogik und rhythmische Sicherheit stellen. Die „Kanonischen Variationen für zwei Geigen“ entfalten ein Feuerwerk mitreißender hindemithscher Spielfreude und Virtuosität. Sie setzen Kontrapunkt und Polyfonie ein, um expressionistischen Ausdruck zu erzielen. Für fortgeschrittene GeigerInnen sind sie wirkungsvolle Vortragsstücke.
Das Spielbuch hat die pädagogische und vor allem auch musikalische Qualität, um gleichwertig neben Bartóks Duos beginnende und fortgeschrittene GeigerInnen mit Neuer Musik vertraut zu machen. Deshalb ist es eine wichtige Bereicherung des Violinrepertoires.
Franzpeter Messmer