Spahn, Claudia

„Spielende“ Bewegungen

Über die Integration körperorientierter Methoden in die Instrumentalpädagogik

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2011 , Seite 16

Unter dem Oberbegriff „Körperorientierte Ansätze“ lassen sich eine Viel­zahl von Methoden subsumieren, die auf die körperlichen Aspekte von Bewegung fokussieren und deshalb für die Instrumentalpädagogik interessante Elemente bereitstellen. Das Angebot ist außerordentlich breit, sodass nicht alle Verfahren, die im Bereich der Leistungs-, Gesund­heitsförderung und Prävention angeboten werden – schätzungsweise über hundert –, dargestellt werden können. Hier werden daher vier ausgewählte Methoden und ihre Anwendung im Instrumentalunterricht näher beleuchtet.

Die Frage, welche Methoden für die instrumentalpädagogische Anwendung sinnvollerweise ausgewählt werden sollen, führt bereits zu einem zentralen Problem, dem sich InstrumentalpädagogInnen gegenübersehen. Im deutschen Gesundheitssystem werden bei der Behandlung von Erkrankungen Verfahren anerkannt, deren Wirksamkeit in wissenschaftlichen Studien – so genannte evidenzbasierte Medizin (EBM) – nachgewiesen ist. Verfahren, welche – wie die vorliegenden – im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung zum Einsatz kommen, unterliegen keiner vergleichbaren Qualitätskont­rolle. Dem Fachgebiet „Musikphysiologie und Musikermedizin“ kommt deshalb die Aufgabe zu, Mu­sikerInnen und InstrumentalpädagogInnen ei­ne qualitative Orientierung an die Hand zu geben.
Da keine ausreichenden wissenschaftlichen Untersuchungen vorliegen, um nach den Kriterien der EBM vorgehen zu können, schlage ich eine pragmatische Herangehensweise vor und beschränke mich im Folgenden exemplarisch auf diejenigen körperorientierten Verfahren, mit deren Anwendung in der musikphysiologischen Ausbildung an Musikhochschulen sowie in der Weiterbildung und im Berufsalltag von Instrumentallehrkräften aus eigener Beobachtung am Freiburger Institut für Musikermedizin positive Erfahrungen vorliegen: die Feldenkrais-Methode nach Moshé Feldenkrais (ca. 1935), die Alexander-Technik nach Frederick M. Alexander (ca. 1900), die Ideokinese nach Mable Todd (ca. 1925) sowie die Atemrhythmische Lehre nach Clara Schlaff­horst und Hedwig Andersen (ca. 1920).

Ausgewählte Methoden und ihr Nutzen für das Musizieren

Unter den Bewegungsparametern Koordination, Flexibilität, Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Präzision und Beweglichkeit stellt Koordination für das Musizieren den entscheidenden Faktor dar. Innerhalb der Körpermethoden sind deshalb diejenigen Methoden für MusikerInnen von besonderem Interesse, die in erster Linie eine Verbesserung der Muskel- und Bewegungskoordination zum Ziel haben. Dies ist u. a. den im Folgenden dargestellten Methoden gemeinsam.
Feldenkrais-Methode,1 Alexander-Technik,2 Ideokinese3 und die Atemrhythmische Lehre nach Schlaffhorst-Andersen4 wurden im ers­ten Drittel des 20. Jahrhunderts entwickelt. Die MethodengründerInnen zeichneten sich durch eine positive Haltung gegenüber kreativen Lernprozessen aus und verstanden Symptome aus einer systemischen Sichtweise des Körpers und nicht aus einem Reparaturverständnis heraus. Gemeinsam war ihnen auch, dass sie ihre methodischen Prinzipien aufgrund einer individuellen Betroffenheit und der Beschäftigung mit der eigenen Person entwickelten. So gehen die Bewegungsstudien von Moshé Feldenkrais auf ­einen eigenen Kreuzbandschaden, die Erkenntnisse Frederick Matthias Alexanders auf seine Stimmprobleme, die funktionell-anatomischen Erkenntnisse Mable Todds (Ideokinese) auf ihre Gehbehinderung und Clara Schlaffhorsts und Hedwig Andersens Atemlehre auf eigene Stimmprobleme sowie eine Lungenerkrankung zurück. Die Konzeptualisierung der Methoden entstand vor dem wissenschaftlichen und künstlerischen Hintergrund ihrer Begründer: Moshé Feldenkrais (1904-1984) war Physiker und Judo-Kämpfer, Frederick M. Alexander (1869-1955) Schauspieler und Rezitator, Mable Todd (1880-1956) Stimmlehrerin, Clara Schlaffhorst (1863-1945) Sängerin und Hedwig Andersen (1866-1957) Pianistin.
Den Methoden liegt die gemeinsame Annahme zugrunde, dass Bewegung ein zentraler Ansatzpunkt für Lernprozesse ist, da diese seit frühester Kindheit eng mit sensomotorischen Erfahrungen verbunden sind. Weiterhin wird angenommen, dass für die Veränderung von Bewegungsmustern eine Vorstellung von Bewegungsalternativen Voraussetzung ist, welche erst durch eine differenzierte Körperwahrnehmung und Körpervorstellung möglich wird.

1 Wolfgang Steinmüller/Karin Schaefer/Michael Fortwängler (Hg): Gesundheit – Lernen – Kreativität. Alexander-Technik, Eutonie Gerda Alexander und Feldenkrais als Methoden zur Gestaltung somatopsychischer Lernprozesse, Bern 2001.
2 Michael Fortwängler/Gerlinde Lamprecht: „Die F. M. Alexander-Technik“, in: Steinmüller/Schaefer/Fortwängler, S. 11-45.
3 André Bernard/Ursula Stricker/Wolfgang Steinmüller: Ideokinese. Ein kreativer Weg zu Bewegung und Körperhaltung, Bern 2003.
4 Antoni Lang/Margarete Saatweber: Stimme und ­Atmung. Kernbegriffe und Methoden des Konzeptes Schlaffhorst-Andersen und ihre anatomisch-physiolo­gische Erklärung, Idstein 2010.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2011.