Olbertz, Franziska

Musikalische ­Hochbegabung

Frühe Erscheinungsformen und Einflussfaktoren anhand von drei Fallstudien

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Lit, Berlin 2009
erschienen in: üben & musizieren 3/2010 , Seite 55

Die vorliegende Dissertation, die sich durch Sorgfalt der Durchführung, Geschlossenheit der Darstellung und gute Lesbarkeit auszeichnet, wurde in der Reihe „Schriften des Instituts für Begabungsforschung in der Musik“ veröffentlicht. Sie möchte dazu beitragen, den Rückstand gegenüber der Forschung zur allgemeinen Hochbegabung zu verringern.
Zur Fragestellung gehört, was unter musikalischer Hochbegabung zu verstehen ist, wie sie sich äußert, welche Wechselwirkungen mit Persönlichkeits- und Entwicklungsas­pekten bestehen und welche Art von Förderung geeignet ist. Die Überlegungen der Autorin sind daher für Eltern und Unterrichtende von großem Interesse.
Der Seltenheit des Phänomens entsprechend konnte nur eine kleine Stichprobe zusammen­gestellt werden, bestehend aus drei Fällen von vermuteter Hochbegabung und zwei Kontrollkindern. Nur Eltern, die selbst eine irgendwie geartete Beziehung zur Musik haben, wird es auffallen, dass ihr Kind sich schon früh und ungewöhnlich intensiv musikalisch äußert, dass es sehr sauber singt, bereits Gehörtes erkennt oder z. B. am Klavier spontan nachzuspielen versucht. So stammen die hier untersuchten Kinder ausschließlich aus – teils sogar professionell – an Musik interessierten Familien (wie man inzwischen weiß, erlaubt das aber nur bedingt Rückschlüsse auf die Erblichkeit des Merkmals).
Die an der zweijährigen Studie teilnehmenden Kinder, zu Beginn etwas über fünf Jahre alt, wurden in vierteljährlichen Abständen besucht. Ihr allgemeiner und musikalischer Entwicklungsstand wurde dabei ausführlich durch systematische Beobachtung, Interviews mit Eltern, ErzieherInnen und MusiklehrerInnen sowie durch verschiedene Test-Inventare dokumentiert.
Eine ausführliche qualitative Aus­wertung der Daten ergab, dass alle drei eine besondere Empfänglichkeit für Musik zeigen und ein schnelles Entwicklungstempo (als sicheres Kennzeichen der Hochbegabung), dass sich ihre Begabung jedoch in sehr unterschiedlicher Weise äußert (mehr instrumental oder mehr kognitiv, improvisierend und komponierend). Außerdem, dass die musikalische Begabung in allen drei Fällen mit überdurchschnittlicher Intelligenz verbunden ist (und einer frühen Einschulung) und dass überdies der musikalische Entwicklungsverlauf wesentlich durch die indi­viduell verschiedenen Persönlichkeitseigenschaften bestimmt wird.
So erlebt es eines der Kinder als ungemein frustrierend, seine musikalischen Vorstellungen auf der Geige nicht realisieren zu können, und droht deshalb die Lust zu verlieren, was wiederum die Lehrerin an seiner Begabung zweifeln lässt, während das andere durch musikalischen Ausdruck instrumentale Schwächen (wie sie naturgemäß in diesem frühen Stadium vorhanden sind) einfach überspielt.
Die Entwicklung musikalischer Hochbegabung wird von einem komplexen Gefüge aus Umweltbedingungen, Förderung, Veranlagungen und motivationalen Aspekten bestimmt: So fasst die Autorin das Ergebnis ihrer Arbeit zusammen. Ein Erfolg versprechender Anfang, dem vermutlich weitere derartige Studien folgen werden, um verbindlichere Aussagen über diese Art der Hochbegabung machen zu können. Anzumerken wäre, dass es hier nicht, wie man denken könnte, um Elitebildung geht. Musikalische Hochbegabung ist ein erfreuliches und wichtiges Potenzial, von dessen Förderung das Musikleben erheblich profitieren würde.
Ursula Pesek