Sonder, Ite

Musik machen statt reproduzieren

Die European Junior Original Concerts 2010 in Wien belegen den Leistungsstand der Yamaha-Musikschulen

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 2/2010 , Seite 38

Mailand, Paris, Wien: Dies sind die bisherigen Stationen der so genannten European Junior Original Concerts, veranstaltet von der Yamaha Music Europe GmbH, einer Tochter der weltweit agierenden Yamaha Music Foundation, die 1966 in Japan gegründet wurde. Seither sind weltweit 1600 Yamaha-Musikschulen entstanden, hauptsächlich in Asien, Nord- und Südamerika, Australien und Eu­ro­pa. Weiße Flecken auf der Yamaha-Landkarte bilden Afrika, Arabien, Indien und die GUS.
Die Philosophie der Yamaha-Musikschulen lautet: Alle Menschen sind musikalisch, denn Musik kann jeder lernen, der hören und sprechen kann. Und so kann Musik quasi als zweite Muttersprache erlernt werden. Darum startet das Programm der Yamaha-Musikschulen auch schon für Kinder im Säuglingsalter: Ab vier Monaten kann der erste Kurs belegt werden. Darauf folgen viele aufbauende Kurse (jeweils Gruppenunterricht), die auf die Zeitfenster kindlicher Entwicklung abgestimmt sind. Die Gruppe fördert dabei soziale Fähigkeiten wie aufeinander hören und miteinander kommunizieren. Vier- bis Fünfjährige lernen bereits anhand von Hören und (Nach-) Singen und mit Hilfe von absoluter Solmisation, Tonhöhen zu identifizieren.
Die drei Grundpfeiler der Musik – Rhythmus, Melodie und Harmonie – werden von Anfang an gleichzeitig gefördert, jedem Kind in der Gruppe steht dabei ein eigenes Keyboard als „Lernwerkzeug“ zur Verfügung. In dieser Phase der Ausbildung nehmen die Eltern noch am Unterricht teil und können dann zu Hause mit den Kindern anhand des Yamaha-Unterrichtsmaterials weiterüben. Wenn die Kinder in die Schule kommen, folgt der nächs­te entscheidende Entwicklungsschritt: Sie lernen lesen und schreiben, und zwar Noten genauso wie Buchstaben. Nun können sie sich bereits anhand ihrer erworbenen musikalischen Grundkompetenzen mit eigenen Kompositionen und Improvisationen ausdrücken.
Hier setzen nun die Junior Original Concerts an, indem sie den Kindern und Jugendlichen ein Forum bieten, um ihre eigenen Kompositionen zu präsentieren. Aus alljährlich 35000 eingesandten Kompositionen wählt eine Kommission die Stücke für die Galakonzerte aus. Im Konzert spielt dann jeder Schüler sein Werk selbst oder ist Teil eines Ensemb­les, falls es sich um größere Besetzungen handelt.
Das dritte European Junior Original Concert in Wien fand im ausverkauften, rund 700 Plätze fassenden Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses statt. Auf dem Programm standen zehn Werke von Kindern zwischen 8 und 14 Jahren aus sieben Nationen: Frankreich, Portugal, Deutschland, Österreich, Italien, Griechenland und Großbritannien waren vertreten. Das Publikum war noch internationaler, denn es waren viele Yamaha-MusikschülerInnen und ihre Eltern auch aus Österreichs östlichen Nachbarländern angereist. Für die interessierte Öffentlichkeit war leider kein Platz mehr! Auf dem Podium stand erstmals ein Konzertflügel der Firma Bösendorfer. Diese Kooperation kam durch die Übernahme von Bösendorfer durch Yamaha zustande.
Bei den Beiträgen der Kinder handelte es sich durchweg um hervorragende und sehr berüh­rende Leistungen. Man konnte spüren, dass diese Kinder zu Hause sind in der Musik. Sie beherrschen tatsächlich die Grundlagen, wissen, wie man ein Motiv entwickelt, wie man es harmonisieren, rhythmisch und melodisch variieren oder durch Oktavversetzungen und Imitation durch die Stimmen führen kann. Sie kennen Möglichkeiten für den formalen Aufbau eines Musikstücks, nehmen Anleihen beim französischen Impressionismus oder beim Jazz. Die meisten Stücke waren für Piano solo geschrieben, aber zwei Stücke waren auch für Klavier und Combo (die größtenteils mit Erwachsenen besetzt war) und im letzten Stück mit dem Titel Die Freiheit gab es zusätzlich einen Chor, in dem alle jungen KünstlerInnen mitsangen.
Als Höhepunkt des Konzerts wurden zwei Schüler auf die Bühne gebeten. Eine Glasvit­rine, die viele Zettel enthielt, wurde hereingerollt. Ein Zettel wurde gezogen und ungeöffnet an einen Lehrer weitergegeben, der nun das zweitaktige Motiv, über das improvisiert werden sollte, zweimal vorspielte. Nun mussten die beiden Kandidaten sich noch absprechen, wer die Herausforderung annehmen wollte. Die Wahl fiel auf Elmar Deininger aus Österreich. Er spielte das Motiv (natürlich auf der korrekten Tonhöhe!) nach und begann nach kurzer Konzentrationsphase eine wunderbare Improvisation mit kleiner Einleitung, Variationen im Mittelteil und anschließender Coda. Egal, dass man sich bei der Zeremonie ein wenig ins Studio von „Wetten dass…“ versetzt fühlte: Das war eine Leistung, wie sie hierzulande die allerwenigs­ten klassischen professionellen Musikerinnen und Musiker zustande bringen!
Das von Yamaha entwickelte Konzept ist bestechend, denn die Kinder lernen nicht nur, Musik zu reproduzieren, sondern sie lernen, ganz einfach Musik zu machen, mit allem, was dazugehört – ähnlich, wie das generell in Europa bis ins 19. Jahrhundert üblich war, wo kein Musiker „nur“ Instrumentalist war. Doch was für eine Musik lernen die Kinder (und natürlich auch die vielen erwachsenen SchülerInnen) da eigentlich? Es ist die klassisch-romantische und vor allem auch die „U-Musik“ unserer westlichen Kultur, die nun durch Yamaha auf der ganzen Welt Verbreitung finden soll. Der Mythos von der Weltsprache Musik wird hier bedient, aber wir sollten nicht aus dem Auge verlieren, dass für jeden von uns die allermeisten Sprachen dieser Welt, ebenso wie die „Musiksprachen“, unverständlich sind. In Europa und Amerika werden Yamaha-Musikschüler keine kultu­rellen Identitätskrisen bekommen. Schade höchstens, dass sie mit künstlichen Keyboardklängen aufwachsen. Aber warum sollten SchülerInnen in Vietnam sich eigentlich mit dem vergleichsweise banalen Dur-Moll-System einer ihnen völlig fremden Kultur begnügen? Westliche Musik weltweit als zweite Muttersprache: Nein danke! – Als erste Fremd­sprache hingegen gern!

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 2/2010.