Masin, Gwendolyn

Michaela’s Music House

The Magic of the Violin

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Müller & Schade, Bern 2009
erschienen in: üben & musizieren 2/2010 , Seite 56

Es gibt unzählige Violinschulen, Anleitungen für den Anfängerunterricht, methodisch-didaktische Analysen nahezu jedes manuellen oder psychologischen Aspekts des Violinspiels vom elementarsten Beginn bis zum Olymp höchster Virtuosität. Klassiker sind darunter, etwa die Traktate Leopold Mozarts, Spohrs, Ferdinand Davids, im 20. Jahrhundert Fleschs und Galamians; der Bogen reicht bis zu modernen Standardwerken wie Cofaliks Geigen-ABC. Jedes weitere Opus ist hier per se erheblichem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt: Welche wirklich neuen Erkenntnisse gibt es zu vermelden? Handelt es sich im Wesentlichen nur um die x-te Wiederholung des bereits tausendfach Beschriebenen?
Ich muss gestehen, dass ich der Rezension einer weiteren Violinschule für Anfänger in der Regel nicht gerade mit der Erwartung kurzweiliger Lektüre entgegensehe. Als ich dann Gwendolyn Masins Michaela’s Music House aufschlage, ist jedoch von der ersten Seite an alles anders. Die 1977 geborene Autorin entstammt einer traditionsreichen Musikerfamilie aus Mittel- und Osteuropa, beide Eltern sind renommierte Violinpädagogen. Sie selbst erhielt ihre Ausbildung von Herman Krebbers, Igor Ozim, Ana Chumachenco, Zakhar Bron und Shmuel Ashkenasi.
Michaela’s Music House ist eine Art Tagebuchprotokoll der ersten Geigenstunden der vierjährigen Michaela. Kaum zu glauben, dass es sich um eine fiktive Geschichte handelt, so lebendig erlebt der Leser Michaelas geigerische Entwicklung vom Beginn bis zur Aufführung von Küchlers Concertino mit. Es gibt bekanntlich für AnfängerInnen einfacher zu handhabende Instrumente als die Violine, und es dauert eine ganze Weile, bis man in der Lage ist, der Geige auch nur ein paar gut klingende Töne zu entlocken. Allein Haltung und Tonproduktion stellen eine beträchtliche Herausforderung dar, die es zu meistern gilt. Zugleich ist diese Phase des Beginns besonders heikel, jeder sich jetzt einschleichende Fehler im weiteren Verlauf als Quelle technisch-musikalischer Hemmungen von möglicherweise desaströser Langzeitwirkung.
Jede Lehrkraft kennt das Problem kindgerechter Vermittlung: Wie kann ich die Materie so darstellen, dass eine Vierjährige Zugang und Freude findet? Genau hier leistet Gwendolyn Masin Überragendes. Es gelingt ihr, ihren methodischen Ansatz vollkommen konsequent durchzuhalten, während Michaela den Lernprozess, eingewoben in eine Fülle von Geschichten, Märchen und Spiele, durchgehend als Spiel und Abenteuer erlebt. Methodischer Ansatz und Analysen sind nicht neu, sondern bewährter moderner Standard. Sei es die Positionierung der Geige, der Bogengriff, Saitenebenen oder Vibrato, man kennt den eingeschlagenen Weg, auch viele der Übungen und weiß: das funktioniert. Die Autorin verweist auf Notenliteratur, die die von ihr verwendeten Stücke und musikalischen Übungen enthält und verzichtet hier auf einen erneuten Abdruck.
Für mich neu und faszinierend fantasievoll sind dagegen die vorgestellten Assoziations- und Erlebniswelten: das Ansetzen des Instruments als Flugzeuglandung, die Armsteuerung links als „maunzende Katze auf dem Dach“, die musikalische Notation als „Musikhaus“ usw. So werden Schritt für Schritt neue Elemente hinzugefügt, ohne dass sich jemals das Gefühl des Fremdartigen, Komplizierten einstellt.
Gesonderte Erwähnung verdient die sprachliche Gestaltung. Masin formuliert ebenso präzise wie leicht verständlich, Fußnoten zur Erläuterung von Fachbegriffen machen das Buch auch für Nichtmusiker problemlos lesbar, ein unschätzbarer Vorteil für viele den Violinunterricht ihrer Kinder begleitende Eltern.
Michaela’s Music House ist bisher nur in englischer Fassung erschienen, eine deutsche Übersetzung sei dem Verlag dringend nahe gelegt. Selten, wenn überhaupt je zuvor habe ich ein derart kompetentes wie gleichermaßen inspirierendes und amüsantes Buch darüber gelesen, wie Kinder das Violinspiel erlernen. Michaela’s Music House sei mit Nachdruck empfohlen!
Herwig Zack