move@school 2008

Schule in Bewegung. Ein Education-Projekt der Wiesbadener Schulen und des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden. Ein Film von Olaf Hermann

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: Schott, Mainz 2009
erschienen in: üben & musizieren 2/2010 , Seite 57

Es empfiehlt sich, zuerst die Dokumentation anzuschauen, bevor man sich im beigelegten Booklet schlau macht. Nicht, dass das, was Wolfgang Kuhl dort zur Idee und zu den Zielen von move@school zu sagen hätte, falsch wäre. Aber es hat doch den Ton, an dem Schule und Bildung allgemein heute leiden, den Ton von effizienter Machbarkeit, der sich für unseren Bereich, auf niedrigerem Niveau als das des Einführungstextes, reduziert auf das Schlagwort: „Musik macht klug“. Dieser Ton könnte voreingenommen machen, wo doch Offenheit Not tut.
Olaf Hermanns 60-Minuten-Film vermag in etlichen Momenten mehr, als es jeder verbalen Beschreibung konkreter Ziele dieses Education-Projekts gelänge. Er vermag anzurühren, lenkt den Blick bei aller positiven, begeisternden Ausstrahlung auch auf pädagogische Defizite, mit denen SchülerInnen in ihrem Lebensraum Schule konfrontiert sind. Der Film dokumentiert als filmisches „Tagebuch“ das halbe Jahr, in dem dreihundert Wiesbadener Schüler aller Altersgruppen und Schulformen gemeinsam mit Künstlern des Staatstheaters Wiesbaden Musik machten, tanzten, komponierten, mit einer ihnen wohl in großem Maße fremden Welt des Kunst-Machens in enge, körperlich erfahrbare Berührung kamen.
Wenn man die Idee des „Erfahrens“, die hier anscheinend auch mit dem Moment des „Zeit-Habens“ gekoppelt war, bei diesem Projekt verwirklicht sieht, dann ist dieses Schule-Theater-Projekt etwas, was sich dem alten, heute in Schule und Hochschule gerne als überholt erachteten humanistischen Bildungsideal verpflichtet fühlt. Und dieser Art von Bildung kann man getrost die so beliebten Transfereffekte zuschreiben. Zumal sie von den SchülerInnen direkt bestätigt werden, wenn z. B. ein Junge durch sein Dabei-Sein, durch sein Zugehörigkeitsgefühl nichts weniger als den Zustand der Freiheit erlebt.
In diesem Projekt wurden Träume verwirklicht, keine hochfliegenden, sondern nur der Traum, „etwas zusammen zu machen“. Hier ergaben sich Glücksmomente einfach aus der eigentlich so simplen Tatsache, „dass er mich lobt“ oder „dass der auch mal Quatsch macht“. Die Schüler artikulieren während der Theaterarbeit eine andere Selbstwahrnehmung („versteh mich besser“), auch eine andere Fremdwahrnehmung.
Der Booklet-Text formuliert die Sehnsucht von Kindern nach Zugehörigkeit, nach dem „Gemeinschaftsgefühl“ (im Sinne etwa der betont pädagogisch ausgerichteten Psychologie Alfred Adlers) in der Formulierung von Lernzielen: „Nur in der gemeinsamen Anstrengung kann ich etwas leisten.“ Projekte wie das Wiesbadener sollten indes eher verstanden werden als Mahnung: Gebt den Kindern solche Chancen, Gemeinschaftgefühl zu erfahren, sich zugehörig zu fühlen, denn aus sich selbst heraus können sie das nicht entwickeln.
Die Dokumentation hat Schüler, Künstler, Lehrer ein halbes Jahr begleitet von ersten Vorgesprächen, vom Lehrertraining, von Schülerängsten („das ist nichts für mich“) bis hin zur Schluss-Gala (die auch komplett als DVD erschienen ist) vor großem Publikum („vor über 1000 Menschen“ war eine der aufregenden Anfangsmotivationen!), hat sich in kurzen Sequenzen (Probenarbeit, Schülergedanken) durch die Entwicklung, die Fortschritte „gezappt“.
Wer selbst an ähnlichen Projekten teilgenommen hat, weiß, in welch ein tiefes Loch man fallen kann, wenn alles zuende ist. Man würde gerne wissen: Was bleibt? Vielleicht nur ein Schlüssel, der ab und zu zur Hand ist, sich das Ungewohnte wieder aufzuschließen. Aber eigentlich müsste move@school etwas Andauerndes sein.
Günter Matysiak