Mantel, Gerhard

Sich gesund üben

Wie wir das Verhältnis von Belastbarkeit und Belastung selbst verbessern können

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 1/2010 , Seite 10

Gesundheit und Krankheit unseres Bewegungssystems hängen ab vom Verhältnis zwischen Belastbarkeit und Belastung. Da beide Kategorien auch innerhalb eines Individuums keine unverrückbaren Größen darstellen, sei hier einmal gefragt, was wir Musiker zur Verbesserung des Verhältnisses von Belastbarkeit und Belastung durch unser Verhalten selbst beisteuern können.

Etwa 75 Prozent aller Berufsmusiker leiden an berufsbedingten körperlichen Schäden. Kongresse, Seminare, Institute, Bücher und Zeitschriften diskutieren diese Diagnose und schlagen zur Heilung diverse therapeutische Methoden und zur Prophylaxe eine große Auswahl von Körpertechniken vor. Hier soll jedoch die nahe liegende Frage gestellt werden: Was machen denn die anderen 25 Prozent anders, diejenigen, die nicht krank werden? Offensichtlich gelten für diese Gruppe entweder andere Bedingungen oder diese Gruppe verhält sich anders.

Alle Bereiche sind ­miteinander vernetzt

Eine Prämisse voraus: Es besteht heute Konsens darüber, dass der Mensch (auch) als Sys­tem betrachtet werden kann, in dem in einer schier unendlichen Weise alle Lebensvorgänge kybernetisch miteinander vernetzt sind. Einfacher ausgedrückt: Alles wirkt auf alles. Daraus sollte nun nicht die resignative Haltung vieler Musiker entstehen: Also lassen wir es so und spielen in jedem Moment einfach „ganzheitlich“. Eine solche Haltung ignoriert, dass dieses komplexe System von Regelkreisen sich durchaus in unterschied­liche, getrennt beschreibbare und getrennt beeinflussbare Bereiche aufgliedern lässt. Wir sollten vielmehr fragen: Wie können wir welche Bereiche so miteinander verknüpfen, dass wir unser künstlerisches Ziel beim Üben und Musizieren erreichen?
Wir müssen uns also von der überlieferten Idee monokausaler Wirkungsweisen verabschieden: Vernetzte Bereiche wirken rückgekoppelt in allen Richtungen aufeinander. Ursache und Wirkung sind oft austauschbar. Hier ein paar Beispiele dieser Vernetzung:
Die mentale Vorstellung („Klangvorstellung“) beeinflusst Haltung und Bewegung; umgekehrt: Ausdrucksbewegungen beeinflussen die Klang- und Bewegungsvorstellung.
Gute Übemethoden (z. B. kluge Übe-Arbeit mit Zwischenschritten, Berücksichtigung der Grenzen unserer Aufmerksamkeit, gute Zeiteinteilung, selbstbewusste Fehlertoleranz) er­zeugen Zuversicht und Optimismus; umgekehrt: Optimismus wirkt sich auf die körperliche Befindlichkeit und damit auf den Übeerfolg aus.
Klare strukturelle Übersicht über musikalische und technische Abläufe schafft Sicherheit auch in der Bewegung: Kann ich eine gegebene Aufgabe, z. B. eine schwierige Spielfigur oder eine Phrase, genau beschreiben? Habe ich einen Arbeitsplan? Salopp ausgedrückt: Wenn die Vorstellung meiner Aufgabe schwammig ist, hilft mir kein Feldenkrais!

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2020.