Metzmacher, Ingo

Vorhang auf!

Oper entdecken und erleben

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Rowohlt, Berlin 2009
erschienen in: üben & musizieren 1/2010 , Seite 59

Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, einen Opernführer zu schreiben: Die eine arbeitet sich akribisch durch die komplette Opernliteratur, um diese inhaltlich und musikalisch so eingehend, aber auch so raumsparend wie möglich zusammenzufassen. Beim Endabnehmer („Leser“ wäre hier zu viel gesagt) gilbt diese Variante den größten Teil ihres tristen Bücherlebens vor sich hin, um nur dann hervorgeholt zu werden, wenn es wieder an der Zeit ist, seinen Abonnementsverpflichtungen nachzukommen.
Die andere Möglichkeit selektiert, ist hochgradig subjektiv und würdigt nur solche Bühnenwerke, die ihrem Autor besonders lieb und wert sind. Und dieser, Ingo Metzmacher, verzichtet dabei sogar mutig auf geschätzte 98 Prozent des Repertoires: Keine Zauberflöte, keine Traviata, kein Holländer, keine Bohème. Und heraus kommt dabei ein Buch, das mit derselben Begeisterung rezipiert wird, mit der es – spürbar! – geschrieben wurde. Sehen wir einmal von Don Giovanni, Freischütz und Tristan ab, so enthält des Dirigenten Büchlein eher weniger aufgeführte Werke – mit dem nicht expressis verbis, aber implizit geäußerten leidenschaftlichen Plädoyer, es dabei bitte nicht belassen zu wollen.
Natürlich haben wir auch schon eine Jenufa erlebt, eine Elektra, eine Lady Macbeth und andere – aber Metzmachers leidenschaftliches Eintreten macht neugierig, nicht nur auf die nächste Jenu˚fa, sondern auch und besonders auf die absoluten Stiefkinder des Spielbetriebs (hier: Weills Silbersee oder Poulencs Dialogues des Carmélites).
Formal sind Metzmachers Opern-Elogen eingebettet in die Geschichte einer Operninszenierung von der ersten Idee bis hin zur Premiere. Dabei lässt er auch seinen Freund Peter Konwitschny zu Wort kommen. „Ich habe diesen Schulterschluss mit dem Regisseur immer geliebt.“ Es geht um beider Inszenierung des Hamburger Wozzeck im Jahr 1998, die seither als legendär gilt, als Referenzaufführung. Und so mischt der Autor den übrigen 15 Opernimpressionen eine über die Kapitel verteilte sechzehnte unter. Eine aus der Arbeitsperspektive, aus dem Blickwinkel der Macher.
Sagten wir 15? Genau genommen sind es nämlich nur 14 Opern, die da von Metzmacher besungen werden. Die als solche deklarierte fünfzehnte gibt es nämlich noch gar nicht. Sie existiert einzig und allein im Kopf dessen, der seit über 14 Jahren über sie nachdenkt: Wolfgang Rihm und sein Dionysos-Projekt. Und auch diese Perspektive, die des zu Erwartenden, aus der heraus der ganze schwierige, höchst komplexe Geburtsvorgang beleuchtet wird, gehört mit vollem Recht in einen Opernführer. Jedenfalls in einen von Ingo Metzmacher verfassten!
„Wenn Oper nichts bewegt“, schreibt der Autor, „hat sie ihr Ziel verfehlt.“ Das gilt wohl auch für Bücher über die Oper. Metzmachers Buch bewegt: Es trifft mitten hinein ins Schwarze!
Friedemann Kluge