Hempel, Christoph

Echtes Flügel-Feeling

„V-Piano“: ein neuartiges Digitalpiano von Roland

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 3/2009 , Seite 40

Vor einigen Jahren machte unter der Bezeichnung „Physical Modeling“ ein neues Verfahren der Klangsynthese von sich reden. Dabei werden nicht in gewohnter Weise gesampelte Klänge so bearbeitet und angeordnet, dass sie auf einer Tastatur oder mit Hilfe eines anderen MIDI-Controllers spielbar sind. Vielmehr werden die physikalisch-akus­tischen Vorgänge, die sich bei der Erzeugung eines Klangs abspielen, digital errechnet und in Echtzeit analog zu hörbaren Klängen gewandelt. Besonders beim Steuern solcher Klänge durch Blaswandler können verblüffende Effekte und Klangmischungen „echter“ Blasinstrumente erzielt werden.
Mit dem „V-Piano“ – „V“ steht für virtuell – hat die Firma Roland ein neues Digitalpiano auf den Markt gebracht, in dem solche Technik zum Einsatz kommt. Die Tastatur ist mit einem eigenen Prozessor ausgerüstet, der alle Nuancen des Spiels abnimmt, direkt verarbeitet und an den Klangsynthese-Teil weitergibt. Die Details der Tonerzeugung eines ­akustischen Flügels, von der Bewegung der Hämmer bis hin zum Schwingungsverhalten des Rahmens, des Resonanzbodens, der angeschlagenen und mitschwingenden Saiten, werden vom V-Piano nachgebildet; dabei wird die Klangformung von der Art und Stärke des Anschlags sowie von der Einstellung der genannten ­Parameter bestimmt. Die virtuellen „Saiten“ klingen organisch aus, da sie nicht, wie beim herkömmlichen Digitalpiano, auf geloopten Samples beruhen. Die vielfältige Interaktion der verschiedenen Komponenten eines Flügels werden detailreich nachgebildet, was zu einer eindrucksvollen Reproduktion des Klang- und Spielverhaltens eines akustischen Instruments führt. Die dynamische Breite ist erstaunlich.
Die gegenüber samplebasierten Digitalpianos deutlich authentischere und detailreichere Nachbildung des Klavierklangs wird beim V-Piano um zusätzliche Möglichkeiten bereichert: Die Feinstimmung der Saiten­chöre – von schwebungsrein bis zu extremer „Honky tonk piano“-Verstimmung – kann eingestellt werden, ebenso die Härte der Hämmer, das Saitenmaterial und die komplexen Resonanzen des Instrumentenkorpus, die aus dem Zusammenspiel von Saiten, Rahmen, Resonanzboden und Gehäuse entstehen, bis hin zu „unmöglichen“ oder ungebräuchlichen Bauweisen wie Dreifachbesaitung bis in die tiefsten Lagen.
Die Einstellungen lassen sich auch für einzelne Tastaturzonen separat vornehmen und können gespeichert werden; die Parametereinstellungen sind in einem übersichtlichen Display untergebracht, können aber auch über den eingebauten USB-Anschluss auf einem Computer (Mac oder PC) vorgenommen werden. Über diesen Anschluss können auch MIDI- und Audio-Dateien geladen und mit einem eingebauten Sequenzer wiedergegeben werden: „Music minus one“ kommt also ohne zusätzliche Abspielgeräte aus und der Pianist kann sein Spiel aufnehmen und anhören. Sogar Video-Synchronisierung über einen V-Link-Anschluss ist möglich. Die Tastatur liefert die gängigen MIDI-Events, ist also auch als Master-Keyboard verwendbar.
Das Spielgefühl ist deutlich besser, direkter und nuancenreicher als bei den üblichen samplebasierten E-Pianos: Das V-Piano „fühlt“ sich fast wie ein echter Flügel an. Das Tastatur-„Feeling“ steht einem Konzertflügel nicht nach, lediglich das Vibrieren des Instrumentenkorpus selbst fehlt natürlich. Es gibt keine eingebauten Lautsprecher – was auch der Klangqualität des Instruments unangemessen wäre. Eine gute Verstärkeranlage ist also empfehlenswert. Solche Qualität hat ihren Preis – nach Herstellerangabe 5400 Euro.

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