Baumann, Tjark

natürlich singen!

Die praxisorientierte Singschule. Mit 21 neuen Songs, mit CD/ Songbook

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Fidula, Boppard 2008
erschienen in: üben & musizieren 3/2009 , Seite 63

Tjark Baumann, Tenor mit klassischer Ausbildung, Gesangspädagoge und Stimmbildner, hat ein Stimmbildungslehrbuch für ChorleiterInnen bzw. GesangslehrerInnen sowie ein Songbook für die Schüler und eine CD mit Einspielungen der Songs vorgelegt, die es den Lehrkräften ermöglichen sollen, „Stimmen im Chor- bzw. Gruppenunterricht oder in der Einzelstimmbildung systematisch zu formen und zu erziehen“.
Die Veröffentlichung ist ansprechend gestaltet und überzeugt durch gut lesbaren Druck und klares Layout. Ausgangspunkt für Baumann sind von ihm selbst komponierte „pädagogische“ Popsongs: Er holt die SchülerInnen quasi bei ihrem musikalischen Alltags-Stand ab und heftet den Songs musiktheoretische und stimmbildnerische Inhalte an. Die Songs sind zum Teil nach Intervallen geordnet, einige dienen der Veranschaulichung von Noten- bzw. Theoriekenntnissen und eine dritte Gruppe führt in das mehrstimmige Singen ein.
In acht Kapiteln mit zum Teil griffigen Überschriften (z. B. Kapitel VI: „Höher?!“) liefert Baumann stimmphysiologische und -bildnerische Informationen, stellt stimmbildnerische Übungen vor und bezieht sie auf die Songs. Ebenso verfährt er mit musiktheoretischen Kenntnissen (Tonleitern, Intervalle, Tonarten u. a. m.). Warum diese mal unter der Rubrik „Vokalpraktische Kompetenz“ bzw. „Musiktheoretische Kompetenz“ firmieren, sich ein anderes Mal aber Lerninhalte mitsamt den dazugehörigen Songs in einem „Exkurs“ wiederfinden, ist mir allerdings nicht ganz verständlich.
Baumann ist offenkundig ein toller Songwriter. Seine Songs sind eingängig, witzig und vom Sound her auf der Höhe der Zeit. Die Texte sind originell, wenn auch manchmal ein bisschen arg „pädagogisch“. Es macht aber Spaß, diese Songs zu singen, und das hört man auch den natürlich wirkenden jungen Menschen an, die die Aufnahmen auf der CD eingespielt haben. Prima sind auch die Klavierarrangements, die den Klavierspieler niemals überfordern. Baumann scheint mir zudem ein wirklich guter Praktiker zu sein, der etwas vom Singen versteht und das in der Arbeit als Lehrbeauftragter auch umsetzen kann.
Im Lehrbuch allerdings bleibt der Autor deutlich hinter dem Niveau seiner Kompositionen zurück. Dass er nicht wirklich etwas Neues zu sagen hat, ist nicht seine Schuld. Gleichwohl: Die nach Intervallen geordneten Songs erinnern doch sehr an die gute alte Metodo pratico von Vaccai. Die stimmbildnerischen Übungen, die Baumann zutreffend und meist anschaulich referiert, gehen nicht über das bekannte „klassische“ Repertoire hinaus und haben mit Popsongs eigentlich nichts zu tun.
Während sich im Bereich von Stimmbildung und -physiologie der Sänger Baumann noch als Fachmann erweist, findet man bei den musiktheoretischen Auslassungen doch mitunter Dinge, die so nicht ganz richtig, mitunter auch falsch sind. Ein paar Beispiele: Wenn innerhalb des Stücks die Tonart „um eine Tonstufe höher gesetzt“ wird, ist das eine Rückung und keine Modulation (S. 51); auf S. 35 werden die Begriffe „Halbtonschritt“ und „Halbton“ synonym gebraucht bzw. postuliert, der 3. und 7. Tonschritt der Durtonleiter bestünde aus Halbtönen; außerdem sei „die Stammtonreihe [ab dem Ton C] nicht automatisch eine Dur-Tonleiter“, was schlicht nicht stimmt. Auf S. 101 werden die Intervalle vom temperiert gestimmten Klavier und seiner Tastatur her begründet und nicht aus Schwingungsverhältnissen, weshalb konsequenterweise der Quintenzirkel auf S. 85 auch nicht erklärt, sondern nur als gesetzt hingenommen werden kann. Ganz dünn wird’s auch, wenn Baumann versucht, klassische und popmusikalische Stimmbildung voneinander abzugrenzen – und acht Zeilen zu „Emotion und Gesang“ (S. 48) sind entschieden zu wenig.
Fazit: eine Veröffentlichung, die zwar nichts wirklich Neues bietet, manchem Einsteiger aber helfen mag – und die im Musiktheoretischen besser nicht zu Rate gezogen werden sollte. Aber die Songs – die sind wirklich toll!
Wolfgang Koperski