Mantel, Gerhard

Üben als lästige Pflicht?

Wie Disziplin zu Motivation und Nachhaltigkeit führt

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2009 , Seite 06

Was kann der Begriff „Disziplin“ für uns beim Üben und Musizieren bedeuten? Kann er uns überhaupt weiterhelfen? Allein der Klang des Wortes „Disziplin“ ruft ja schon widerstreitende Gefühle in uns hervor. Ist Kunst nicht „frei“? Ist Disziplin nicht „Zwang“?

Wir müssen Disziplin als eine Sekundär­tugend betrachten, deren Funktion vom willenlosen Kadavergehorsam unter fremde Vorstellungen und Anweisungen bis hin zur unermüdlichen Verfolgung von angestrebten, als wichtig und richtig erkannten eigenen Zielen reichen kann. Disziplin ist als ein Werkzeug zu sehen, nicht als ein Ziel. Wir müssen sie als die zu erlernende und zu kultivierende Fähigkeit erkennen, an einer Sache dranzubleiben, auch und gerade gegen Widerstände, äußere und innere. Sie ist die grundsätzliche Bereitschaft zu einer Leis­tung, die über das Selbstverständliche, Nächstliegende hinausgeht.
Disziplin kann man als einen Komplementärbegriff zu „Begabung“ bezeichnen: Alles was nicht von selbst kommt, was mir nicht in den Schoß fällt, benötigt den Einsatz von Diszip­lin, braucht gewissermaßen die Überwindung des inneren Schweinehunds! Disziplin hängt darüber hinaus in hohem Maß vom Selbstkonzept eines Menschen ab: Reagiere ich mehr auf das, was auf mich zukommt, oder ergreife ich Initiativen, mit denen ich Lern- und Kommunikationsprozesse anstoße?

Disziplin: von außen, von innen

Disziplin kann in zwei sich diametral gegenüberstehenden Formen erscheinen:
1. Sie kann mir von außen auferlegt werden.
2. Ich kann sie mir als Selbstdisziplin von innen auferlegen.
Um zunächst vom Unterricht zu sprechen (Disziplin leitet sich ja von „discipulus“, der Schüler, ab): Disziplin kann eine von außen kommende (erkannte oder unerkannte) Bevormundung sein. Sie kann mit impliziten Strafandrohungen und damit mit Angst versehen sein (negative Kritik, schlechte Noten in einer Prüfung). Sie kann aber auch die Form einer erlernbaren Technik zur Selbstdisziplin annehmen und damit als entscheidend wichtige Bereicherung erlebt und vermittelt werden – eine zentrale Aufgabe jedes Instrumentalunterrichts.
Wir alle sind auch abhängig von äußeren Umständen. Wir müssen äußere Umstände schaffen, die innerer Disziplin zuträglich sind. Unterricht sollte deshalb auch immer mit Anregungen zu autodidaktischem Handeln verbunden sein! Autodidaktisches Handeln setzt Disziplin voraus. So müssen wir als Übende lernen, in einer Art Selbstüberlis­tung Situationen herbeizuführen, die einen äu­ßeren Zwang zur Disziplin darstellen (auch wenn wir ihn ursprünglich selbst, „von innen“, geschaffen haben). So machen wir uns schließlich von der äußeren, auferlegten Disziplin unabhängig und formen eine imaginierte, „virtuelle“ äußere Disziplin um zu eigener, autonomer, autodidaktischer Selbstdisziplin.
Disziplin braucht Nahrung: Sie wird erleichtert durch eine gewisse „Ritualisierung“ der Arbeit, durch eine kluge Zeiteinteilung beim Üben, durch das Wissen um die Wirkung von Arbeitsmethoden und natürlich deren konsequente Anwendung, durch jede Art von An­regung wie Kammermusik, Konzertbesuche (viel zu wenig Musikstudierende sind bei Konzerten ihres eigenen Instruments anzutreffen!), durch das Fixieren von festen Terminen, durch die Organisation von Vorspielen, durch Gespräche mit Partnern und Lehrern und durch den Mut zu neuen Ideen.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2009.