Leufgen, Friedrich

Schattenland

für Flöte solo

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Zimmermann, Frankfurt am Main 2007
erschienen in: üben & musizieren 3/2008 , Seite 62

Seit jeher wird dem Ton der Flöte die Macht zugesprochen, die sichtbare Welt zu transzendieren und eine andere Welt, das Reich der Geister und Schatten zu erreichen. An diese Tradition knüpft der 1958 in der Eifel geborene Flötist, Komponist und Pädagoge Friedrich Leufgen an, indem er in Schattenland eine poetische „Schatten-Landschaft“, eine Art „Land hinter den Wolken“ entwirft. Schattenland ist trotz der melancholischen, quasi mystischen Grundstimmung nicht einfarbig grau. Zum Ausdruck kommen neben Sehnsucht, Wehmut, Sanftmut und Trauer auch Erregung, Ungeduld sowie – in virtuosen Passagen, die flötistisch aber gut liegen – elementare, naive Spielfreude.
Das Stück beginnt im Adagio espressivo mit sehnsuchtsvollen Rufen, die eine ausdrucksstarke, teils spannungsvoll-drängende, teils lyrisch-geheimnisvolle Erzählung einleiten. Es folgt ein schlichter Trauermarsch in tiefer Lage (Largo marcia funebre in e-Moll). Das anschließende Andante espressivo besteht aus einer pastoral anmutenden Melodie im 6/8-Takt, die nach einer Wiederaufnahme der Anfangsrufe frei fortgesponnen wird und schließlich in einen – auch metrisch – sehr freien Teil übergeht (senza tempo espressivo). Dieser beinhaltet u. a. Improvisationen für Stimme und Flötenton sowie diverse virtuose Passagen, bei denen es häufig darum geht, mithilfe gebrochener Akkorde eine latente Zwei- oder Dreistimmigkeit zu erzeugen. Am Ende steht eine schattenhaft-unwirkliche, empfindsame Trauermarsch-Reminiszenz, bevor das Land der Schatten schließlich mit sphärischen Obertönen über c’ wieder entschwindet.
Durch die zahlreichen traditionellen, insbesondere tonalen Elemente und Bezüge ist Schattenland relativ leicht zugänglich. Hinzu kommt, dass das Notenbild übersichtlich ist, obwohl sich metrisch freie und metrisch gebundene Passagen abwechseln und auch etliche neue Spieltechniken – u. a. Glissando, Obertöne, gleichzeitiges Singen und Spielen, Flatterzunge, Klappenschläge, Fächerbalken – eingesetzt werden. Traditionelle und neue Techniken werden geschickt kombiniert, die neuen Techniken insgesamt eher sparsam verwendet.
Ein poetisches, facettenreiches zeitgenössisches Vortragsstück für Flöte solo (Dauer: ca. zehn Minuten), das sich gut für fortgeschrittene Spielerinnen und Spieler (Mittelstufe/Oberstufe) eignet. Schattenland kann motivieren, sich nicht nur mit neuen Spieltechniken zu beschäftigen, sondern auch intensiv an „klassischen“ Themen wie Ausdruck, Dynamik, Klangfarben, Atemführung und Spannungsbögen zu arbeiten.
Andrea Welte