Palézieux, Nikolaus de

Sternstunden der Musik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: C. H. Beck, München 2007
erschienen in: üben & musizieren 6/2007 , Seite 58

Nach Bänden zur Physik, Chemie, Geschichte, Kunst und Archäologie ist nun auch ein Band zur Musik in der Reihe „Sternstunden“ erschienen. Anders als es der Reihentitel erwarten lässt, stehen nicht die Ideen, Entdeckungen, Erfindungen oder Werke selbst, die jeweils Meilensteine in der Geschichte und Entwicklung ihres jeweiligen Fachs bilden, im Mittelpunkt, sondern vielmehr die Bedingungen, Voraussetzungen und Umstände, die dazu geführt haben. Es geht daher auch im vorliegenden Band eher um knappe, auf eine bestimmte Phase oder einen bestimmten Punkt konzentrierte Biografien als um Beschreibungen oder gar Analysen der als Gipfelpunkt der Musikgeschichte erkannten Werke.
Diese Erwartung einer populärwissenschaftlichen, unterhaltsamen Darstellung, die man ohne Vorkenntnisse zur Hand nehmen kann, erfüllt der Autor geradezu vorbildlich. Er erzählt auf lebendige, mitunter gar fesselnde Weise und hat eine besondere Begabung dafür, dickleibige Biografien zusammenzufassen und auf wenigen Seiten Charakterbilder der ausgewählten Komponisten zu entwerfen. Von der wissenschaftlichen Warte her sind bei einem solchen Buch selbstverständlich Abstriche zu machen. Nicht immer bewegt sich der Autor auf dem aktuellen Forschungsstand; so sind beispielsweise die angeführten Erinnerungen Edmond Michottes an die Äußerungen von Rossini und Wagner bei ihrem Zusammentreffen 1860 in Paris mehr als fragwürdig… Manches fällt grob und pauschal aus. Eine Behauptung wie die, Liszt habe „manchem Werk“ von Berlioz „die letzte Form“ gegeben (S. 123), sollte erläutert werden, um Missverständnissen aus dem Weg zu gehen. Im Gegenzug jedoch entschädigt der Autor durch so treffende Formulierungen wie über Mahler: „Er war ein Gottsucher, der am Leben hing“ (S. 149).
Eigenartig mutet allerdings die nirgends begründete Auswahl der Komponisten und Werke an. Da man über die Resultate der musikalischen Sternstunden, die daraus hervorgegangenen Kompositionen, in der Regel nur wenig erfährt, erwartet man zweifellos Meisterwerke, die zum Kernrepertoire des Konzert- und Opernbetriebs gehören und jedem Musikliebhaber geläufig sind. Überraschenderweise beschäftigt sich der Autor aber auch mit den Madrigalbüchern von Carlo Gesualdo, den Symphoniae sacrae II von Heinrich Schütz einerseits sowie 4’33” von John Cage und Atmosphères von György Ligeti andererseits. Dazwischen sind in ihrer chronologischen Abfolge ausgesprochene Repertoirewerke vertreten, von Bachs h-Moll-Messe und Händels Messias über Mozarts Don Giovanni, Rossinis Barbier von Sevilla, Beethovens Missa solemnis bis zu Berlioz’ Symphonie fantastique, Verdis Nabucco und Mahlers 8. Sinfonie. Überraschend sind überdies die Lücke zwischen Mahler und Cage wie auch das Fehlen einer Persönlichkeit wie Wagner. Aber vielleicht ist ja ein ergänzender zweiter Band unter dem Titel Neue Sternstunden der Musik längst schon in Arbeit…
Peter Jost