Nastasi, Mirjam (Hg.)

Die Soloflöte

Eine Sammlung repräsentativer Werke vom Barock bis zur Gegenwart, Band IV: 20. Jahrhundert (bis 1960)

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Peters, Frankfurt am Main 2006
erschienen in: üben & musizieren 6/2007 , Seite 63

Nach den drei Bänden mit Solowerken für Flöte aus Barock, Klassik und Romantik legt Mirjam Nastasi nun eine Sammlung mit 33 Stücken aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor. Wie sie im ausführlichen und lesenswerten Nachwort schreibt, wurde versucht, einen Überblick über die einschlägige Literatur zu geben, Bekanntes neben Unbekanntes, Unterhaltendes neben Anspruchsvolles zu stellen.
Diese Zielsetzung ist grandios gelungen. Eingerahmt von den beiden Meisterwerken von Debussy und Berio finden wir in chronologischer Reihenfolge (aus urheberrechtlichen Gründen teilweise nur auszugsweise) Werke aus Frankreich, Deutschland, Italien, England, Holland, aus der Schweiz und als einzigen asiatischen Beitrag das Requiem von Kazuo Fukushima. Etwas unterrepräsentiert ist der europäische Osten mit drei Werken von Milko Kelemen, Endre Szervánsky und Roman Haubenstock-Ramati. Von den Standardwerken fehlt nur die Pièce (1936) von Jacques Ibert und vor allem Density 21,5 (1936) von Edgard Varèse, dem jedoch Mirjam Nastasi im Nachwort interessante Anmerkungen widmet.
Frankreich ist mit kapriziös-unterhaltenden Werken von Jean Rivier, Pierre Max Dubois, Marcel Stern und mit pastoral-mystischen von Pierre Octave Ferroud, André Jolivet, Charles Koechlin und Georges Migot vertreten. Unbekanntes lernen wir mit dem holländischen Komponisten Rudolf Escher, dem Engländer Norman Demuth und dem thüringischen Komponisten Heinrich Funk kennen. Bekannter sind aus Deutschland Sigfrid Karg-Elert, dessen Musik Mirjam Nastasi mit Alexander Skrjabin in Verbindung bringt, sowie Paul Hindemith, Johann Nepomuk David und Günter Raphael.
Einfachere Werke, eher der Spielmusik zuzurechnen, wurden von Willy Schneider, Johannes Driessler und Tilo Medek aufgenommen. Aus der Schweiz kommen Arthur Honegger, Joseph Lauber, Raffaele d’Alessandro, Willy Burkhardt und Armin Schibler. Die avantgardistischsten Stücke, neben Pan von Leonardo de Lorenzo, steuert Italien bei mit Proporzioni von Franco Evangelisti und der Musica su due dimensioni von Bruno Maderna.
Kleine Kritik: In dieser Sammlung wäre Gelegenheit gewesen, auf die Druckfehler in Honeggers Danse de la chevre hinzuweisen: Takt 6 a nicht ais in der Achtel-Triole und Takt 29 fis nicht f. (Diese Information verdanke ich André Jaunet.)
Insgesamt aber liegt nun eine großartige Sammlung von Solowerken vor, die die Entwicklung der Böhmflöte vom virtuosen Liebhaberinstrument zum bevorzugten Experimentierinstrument der Komponisten am Anfang des 20. Jahrhunderts zeigt. Entscheidend war dabei die Entdeckung der Klangfarbe als eigenständigem musikalischen Parameter, die gerade im Flötenklang so variabel und farbig zum Klingen gebracht werden kann.
Thomas Richter