Keller, Manuela

Dur, Moll und ihre vier Schwestern

Kurze Klavierstücke in Kirchentonarten zum Spielen und Improvisieren – auch vierhändig, mit CD

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Nepomuk, Aarau 2006
erschienen in: üben & musizieren 6/2006 , Seite 71

Kirchentonarten sind schon seit hundert Jahren sowohl für die klassische Moderne als auch für verschiedene Richtungen der Popmusik fast unverzichtbar. So trifft diese Neuerscheinung sicher auf lernbereite Interessenten, nicht nur unter Kindern und Jugendlichen. Die Autorin geht von der vielfach erhärteten Voraussetzung aus, dass Musik auf der Basis der tonalen Grunderfahrung Dur/Moll wahrgenommen wird. Zur Einführung der Skalen hat sich Manuela Keller einen originellen Weg ausgedacht: Statt die Skalen aus der C-Dur-Tonleiter abzuleiten, macht sie die Unterschiede an der Helligkeit (einem Farbaspekt) der Leitern fest.
So werden im ersten Teil die Skalen (dementsprechend auch die Stücke) alle vom Grundton g aus aufgebaut. Ausgehend von Lydisch (mit fis als lydischer Quarte) wird nun jeweils ein Ton erniedrigt (fis zu F-Dur, h zu B-Mixolydisch, e zu Es-Dorisch usw.). Damit wird vom sehr lichten Lydisch bis zum dunklen Phrygisch die Helligkeit reduziert. Im zweiten Teil erscheinen dann alle Stücke noch einmal traditionell ohne Vorzeichen.
Die Anordnung ist sehr übersichtlich. Auf der linken Seite werden die Stücke abgedruckt und eine Begleitung für einen Secondospieler. Rechts finden sich dann Improvisationsanleitungen: die Leiter vorweg, ein Ostinato und eine Improvisation als Beispiel, zuletzt mehrere andere Ostinati. Die methodisch sinnvolle Idee liegt darin, mit einem begrenzten Tonvorrat über einfache Ostinati zu spielen („Finger einfach laufen lassen, Fehler in Kauf nehmen“). Die Vorschläge Kellers sind praktikabel, die Stücke selbst jedoch treffen nur bedingt die Intentionen der Komponistin. Gut gefallen können die einfallsreichen Titel (z. B. Silberhelle Kreise, Pausenmusik im Halbdunkel), weil sie sensibel auf Farbwerte reagieren.
Insgesamt werden zwölf Stücke geboten, sechs in leichter Technik, sechs in mittlerer Schwierigkeit. Rhythmisch sind alle Kompositionen anspruchsvoll (asymmetrische Metren, Synkopen), stilistisch bewegen sie sich zwischen artifizieller und populärer Musik (Bartók und Chick Corea als unerreichte Vorbilder).
Man erwartet melodisch/harmonisch natürlich Stücke, die jeweils die Charakteristik der Tonarten zeigen. Nicht alle werden dem gerecht. Gut gelungen sind die vier Stücke in Dur und Moll und die beiden im phrygischen Modus. Alle Stücke sind gut zu spielen, interessant zu hören und abwechslungsreich geformt. Das Ganze wird eingerahmt von einem kenntnisreichen, praxisnahen Vorwort und lehrreichen methodischen Hinweisen für Lehrkräfte. Gut gefallen können das klare Notenbild, die Illustrationen und Informationen im Heft.
Unerklärlich ist mir allerdings der misslungene „Einstieg in die Improvisation“ auf den ersten beiden Seiten. Die sechs wenig überzeugenden Begleitungen sollen zu Improvisationen anregen, ein Ziel, das doch wohl eher am Ende erreicht werden soll. Ergänzt wird das Heft durch eine CD mit allen Stücken und Musterimprovisationen. Insgesamt kann man die Sammlung empfehlen.
Otto Junker