Stefan Lindemann

Man lebt nicht nur von Luft und Klang…

Zur Existenzgründung freiberuflicher MusikpädagoInnen

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2002 , Seite 19

Da steht man nun mit seinem Zeugnis als fertiger „Diplom-Musikpädagoge“ und versucht, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. Häufig wird man nach wie vor von den Lehrkräften an den Hochschulen auf Instrumentalleistung getrimmt (viel und gut üben gleich Job an der Musikschule oder im Orchester). Auch die zukünftigen Musikpädagogen sind, bedingt durch die Hochschulstrukturen, während des Studiums mehr oder weniger ausschließlich musikorientiert, wogegen an sich nichts einzuwenden ist. Aber die Chance, über privat erteilten Unterricht sich bereits während des Studiums ein ordentliches Quantum an Praxiserfahrung zuzulegen, wird nicht immer in dem wünschenswerten Maß genutzt. Und so steht man dann am Ende des Studiums auf dem freien Markt und muss sich zunächst orientieren.

Gewohnt, sich in einer fast autistischen Weise den rein musikalischen Dingen zu widmen, sind viele junge PädagogInnen zunächst verunsichert ob der vielen unbekannten Sachverhalte, die auf einen einstürmen. Nach einiger Zeit erkennt man, dass die häufig von den Hochschulen indirekt versprochene Arbeitsmarktwelt einer quasi garantierten BAT-Musikschulstelle nicht der Realität entspricht: Abbau von Festanstellungen, ungünstige Vertragsbedingungen, schlechte Bezahlung für Honorarstellen etc. An diesem Punkt fragt man sich oft, wofür man eigentlich studiert hat.

Das Berufsfeld der Musikpädagogen wandelt sich stark. Der Markt ist freier und damit auch für den Pädagogen anstrengender geworden. Aufgrund der finanziellen Situation der meisten Musikschulträger sind Stellenabbau, Umwandlung in Honorarstellen und Änderungskündigungen zu Lasten der Lehrkräfte mittlerweile an der Tagesordnung. Junge MusikpädagogInnen werden also in Zukunft wesentlich stärker auf den privaten Markt als Einkommensquelle angewiesen sein.

In diesem Kontext muss ein Defizit in der Berufsausbildung an den Hochschulen festgestellt werden. Jeder Handwerksmeister wird nicht nur in seinen Fachbezügen, sondern auch in Rechnungswesen, Betriebsführung, Vertragsrecht usw. ausgebildet, damit er in der Lage ist, als selbstständiger Unternehmer zu (über)leben. In den Hochschulen scheint sich nach wie vor die Meinung zu halten, Künstler lebten nur von Luft und Liebe zur Musik allein. Und so stehen viele Musiklehrkräfte auf dem freien Markt, müssen sich behaupten und können aufgrund mangelnder Kenntnisse und Fähigkeiten im, pauschal gesagt, betriebswirtschaftlichen Bereich keine vernünftige Existenzgründung vornehmen.

Im Folgenden möchte ich kurz auf drei Aspekte einer Existenzgründung eingehen: Grundlagen, der erste Schritt zum Kunden und Kommunikation.

A  Grundlagen

Produktprofil
Zunächst sollte man sich sehr präzise Gedanken darüber machen, was man den potenziellen Kunden anbieten möchte (was? wie?) und, sehr wichtig, was nicht. Ein solches Produktprofil sollte man unbedingt einmal schriftlich festhalten.

Unterrichtsort
Im nächsten Schritt wären Gedanken sinnvoll zum „wo“, also dem Unterrichtsort: Ob man in einer Mietwohnung unterrichten möchte (Zeitregelungen beachten), wie sich bei einem angemieteten Raum die Kostenstruktur darstellt, ob man sich mit KollegInnen einen Raum teilt, wo der Raum ist (möglichst kundennah), ob man Hausbesuche anbietet (Zeitverlust und Fahrtkosten berücksichtigen), wie man den Raum verkaufsfördernd inszenieren kann usw. Sinnvoll ist eine möglichst strikte räumliche Trennung zwischen dem beruflichen und dem privaten Bereich, erst recht, wenn man in der eigenen Wohnung unterrichtet.

Eigenorganisation
Zur notwendigen Eigenorganisation gehören auch Dinge wie z. B. das Führen von Anwesenheitslisten, Protokolle von Gesprächen (Vorgespräch, Bilanzgespräche nach der Probezeit, nach einem Jahr usw.), Stundenprotokolle, Abrechnungs- und Honorarorganisation, Kontenführung (privat/ geschäftlich), Briefpapier u.v.a.m.

Unterrichtsvertrag
Ein weiterer zentraler Punkt ist der Unterrichtsvertrag. Er allein bietet die Gewähr, im Falle eines Rechtsstreits z.B. an nicht gezahlte Honorare zu gelangen. Man kann einen solchen Vertrag selber gestalten oder sich der Musterverträge der ehem. IG Medien (jetzt ver.di) oder des Deutschen Tonkünstlerverbandes bedienen, wobei das nur die jeweiligen Organisationsmitglieder dürfen. Das Bürgerliche Gesetzbuch sollte zur Grundausstattung des eigenen Bücherregals gehören, da dort die Grundlagen zum Vertragsrecht nachzulesen sind. Auf jeden Fall sollte man sich nach der Erstellung eines Vertragsentwurfs juristischen Rat einholen.

Honorar
Eine weitere, wenn nicht sogar die entscheidende Frage zur Sicherung der eigenen Existenz ist die nach dem angemessenen Honorar. Grundsätzlich gilt, dass man sich in der Regel zu billig verkauft. Gewohnt, hier und da mal ohne Honorar zu spielen (Musik macht ja schließlich Spaß!), ist man meistens zu schüchtern, ein angemessenes Honorar zu verlangen, auch, weil man angeblich mit einem zu hohen Honorar Schüler verschrecken könnte. Sinnvoll ist ein vergleichender Blick in andere Branchen. Beispiel: Wenn man z. B. als Monatspauschale (durchbezahlt) für 45 Minuten Unterricht 75,– Euro (146,69 DM) vereinbart hat, sollte man diesen Betrag auf den so genannten Handwerker-Stundenlohn, bezogen auf sechzig Minuten, umrechnen. Also: 75,– Euro mal 12 Monate, geteilt durch 37 Unterrichtsstunden/Jahr, geteilt durch 45 Minuten, multipliziert mit 60 Minuten, gleich 32,43 Euro (63,43 DM). Und wie viel hat der Elektriker oder Klempner bei der jüngsten Reparatur verlangt? Oder andersherum: Im Bundesdurchschnitt sind bei einer VW-Vertragswerkstatt (abzgl. Umsatzsteuer) als Stundenlohn 54,21 Euro (106,03 DM) zu zahlen (Quelle: ADAC-Motorwelt 4/2000, S. 10). Auf die Verhältnisse eines freiberuflichen Musikpädagogen umgerechnet wären dann für 45 Minuten Unterricht 125,36 Euro (245,18 DM) als Monatspauschale zu zahlen. Fazit: Unser Berufsstand verkauft sich nach wie vor unter Wert! Für die Schüler mag es „nur“ Hobby sein – für uns ist es unsere Existenz! Außerdem muss man als Freiberufler sämtliche Betriebskosten, die sonst von der Musikschule, also dem jeweiligen Träger, übernommen werden (Telefon, Porti, Kopien, Raumausstattung, Heizung etc.) selbst leisten. Diese nicht unerheblichen Betriebsausgaben gehen vom Gesamtumsatz ab, von denen kann man noch nicht leben. Standhaftigkeit gegenüber den Eltern und ein gesundes Selbstbewusstsein bezüglich des Wertes der eigenen Arbeit zahlen sich – im Wortsinne – aus.

Steuer
Man sollte sich unbedingt mit einem versierten und in Musikdingen erfahrenen Steuerberater zusammensetzen (Umsatzsteuerbefreiung, Gewerbesteuerfreiheit), um mit ihm die eigenen Verhältnisse (reine pädagogische Tätigkeit? Mischtätigkeit als Pädagoge, konzertierender Instrumentalist? Mischtätigkeit Freiberufler/Festanstellung?) zu besprechen. Häufig sind bei einer Existenzgründung Anschaffungen zu tätigen, für die man etwas größere Geldsummen benötigt: ein neues Instrument, ein neuer Computer, Schreibtisch, Stühle etc.

Finanzierungshilfen
Da die Banken kaum noch Kredite vergeben, die auf solche Summen ausgerichtet sind, sollte man sich anderer Finanzierungshilfen bedienen: z.B. bei den Arbeitsämtern, der Deutschen Ausgleichsbank usw. Infos gibt es u. a. in der Förderdatenbank der Internetseiten des Bundesministeriums für Wirtschaft sowie bei der kommunalen Wirtschaftsförderung.

Künstlersozialkasse
Gerade für ausschließlich freiberuflich Tätige ist eine Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse außerordentlich sinnvoll. Die ausgesprochen abschreckend wirkende Flut von komplizierten Formularen sollte einen dabei nicht entmutigen, denn günstiger kommt man an die Vorteile von gesetzlicher Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung nicht heran. Allerdings sind die Zugangsvoraussetzungen seitens der KSK sehr hoch, um Missbrauch zu vermeiden.

Versicherungen
Des Weiteren sollte man sich natürlich auch um weitere Ab- und Versicherungen kümmern: Instrumentenversicherungen, Berufshaftpflicht, private Rentenzusatzversorgung, Unfallversicherung mit instrumentenbezogener Gliedertaxe u.v.a.m. Hierbei helfen Gewerkschaften und Berufsverbände, deren Mitglieder auch häufig vergünstigte Konditionen bei Versicherungen bekommen.

B  Der erste Schritt zum Kunden

Bedarfsuntersuchung
Nach den notwendigen Vorbereitungen wendet man sich stärker dem Schüler, pardon, dem Kunden zu. Zunächst gilt es, eine Bedarfsuntersuchung durchzuführen: Wo wohnen meine Kunden? Welche Kunden will/kann ich überhaupt ansprechen? Aus welchem/n Milieu/s kommt/ kommen meine Zielgruppe/n? Diese Fragen hängen zusammen mit dem Instrument, aber auch den Honoraren, dem Auftreten usw.

Wettbewerbslage
Ein weiterer Punkt ist die Wettbewerbslage: Gibt es in meinem Einzugsbereich noch weitere KollegInnen oder habe ich quasi eine Monopolstellung? Wie sehen deren Konditionen aus? Gibt es Punkte in meinem Produktprofil, die die anderen nicht haben, kann ich mich also positiv von meinen Mitbewerbern absetzen?

Werbestrategie
Unter Berücksichtigung der Wettbewerbslage, der Unterrichtsausrichtung, der Honorarhöhe und vor allem des als Kundenbereich angestrebten sozialen Milieus gilt es eine Werbestrategie zu entwickeln, die die unterschiedlichen Werbemittel und -medien nutzt: Wen will ich wie ansprechen? Geht es um reine Information? Oder um einen emotionalen Köder? Sind Hochglanz-Flyer für meine Zielgruppe sinnvoller oder doch lieber einfach kopierte Zettel? Wie oft stehe ich in der Zeitung? Nur mit einer Fließsatzanzeige oder mit einer größeren, grafisch gestalteten? Kann ich die Investitionen kalkulieren zum erwarteten Nutzen? Habe ich – als grobe Faustregel – die Kosten einer größeren Werbeaktion über neue Schüler nach einem Jahr wieder „drin“? Wie verhalte ich mich zum Internet? Die beste Werbung ist die „Mund-zu-Mund-Propaganda“, die allerdings auch sehr schwer zu erwerben ist. Gerade hierfür (aber auch grundsätzlich) gilt: Unsere Leistung ist unsere Werbung.

C  Kommunikation

Der Bereich Kommunikation wird im Rahmen des Studiums durchaus gewürdigt, allerdings immer nur auf den Unterricht bezogen. Aber: Wie gehe ich mit Eltern um? Wie kann ich mich auch sprachlich besser verkaufen, denn genau darum geht es im Vorfeld der ersten Unterrichtsstunde eines neuen Schülers: Wie verhalte ich mich beim ersten Telefonkontakt? Wie im besonders wichtigen Vorgespräch? Wie spreche ich jeweils milieuadäquat? Wie kann ich Schüler und Eltern (Letztere vor allem, denn die zahlen) möglichst schnell einschätzen? Wie trete ich selbst auf (hinsichtlich Sprache, Kleidung, Umfeld)? Wie inszeniere ich mich als Künstler, als Lehrkraft so, dass der Kunde mein Produkt auch gewillt ist zu erwerben? Wie (rational/irrational) laufen eigentlich derartige Entscheidungsprozesse ab? Wie kann ich diese zu meinen Gunsten beeinflussen? Welche Taktik sollte ich in so einem Gespräch anwenden (Mischung aus Praxis mit dem Kind und Erläuterung der Vertrags- und Honorarkonditionen)? Vor allem gilt eines: Die Eltern müssen das Gefühl bekommen, dass ich mir Zeit nehme für sie. Denn genau das ist der Gegenstand des Vertrages. Ich nehme mir für das Kind Zeit, die honoriert werden muss. In dieser Zeit findet eine bestimmte (Aus-)Bildung statt. Das bedeutet aber auch, dass ich mir über meine Rolle als Lehrkraft im Klaren sein muss, dass ich sie auch wahrnehmen muss und nicht im Sinne einer infantilisierten Gleichstellung mit dem Schüler verweigere. Auf dem Fundament eines sauberen Vertrages und einer klaren Rollendefinition kann ich dem Kunden gegenüber wesentlich selbstbewusster auftreten.

Wie geht man mit Problemfällen um? Meistens sind nicht die Schüler, sondern die Eltern das Problem. Sei es, dass sie einem in den Unterricht reinreden wollen, sei es, dass es vertragliche Probleme bzw. Diskussionen gibt (Honorarzahlung auch in den Ferien; Ausfallstunden; Zahlungsverzug; Honorarerhöhungen). Hier gilt wie oben: Ein sicheres Fundament ist die beste Gewähr für ein standfestes Auftreten und Vertreten der eigenen Interessen gegenüber den Eltern.

Ein Tipp zum Schluss
Gerade für Freiberufler gilt verstärkt das Schlagwort vom „lebenslangen Lernen“: also öfter Fortbildungen besuchen, das eigene Unterrichtskonzept, die verwendete Literatur häufiger überprüfen und maßvoll abändern. Die Ergänzung der pädagogischen Tätigkeit durch eigene künstlerische Aktivitäten hat neben dem enormen Werbevorteil auch noch den positiven Effekt, dass man nicht so leicht in eine tödliche (Unterrichts-)Routine fällt und besser mit dem Spagat „Bildungsauftrag vs. Dienstleistungsanforderung“ zurechtkommt. Denn man ist ja auch noch Musiker. Und um der Musik willen lohnt sich so mancher Aufwand.

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