Kapustin, Nikolai

Sonatina op. 100

für Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2017
erschienen in: üben & musizieren 1/2018 , Seite 61

Am 22. November 2017 feierte der in der Ost-Ukraine geborene, in Moskau lebende Pianist und Komponist Nikolai Kapustin seinen 80. Geburtstag. Mit seiner Kompositionsweise, die Jazzelemente mit einem ausgeprägten klassischen Formsinn verknüpft, ist Kapustin schon länger kein Geheimtipp mehr. Seit 2013 veröffentlicht der Schott-Verlag sein umfangreiches Œuvre, das neben zahlreichen Klaviersonaten  Charakterstücke und Konzert­etüden sowie diverse Kammermusik enthält.
Die harmonisch reiche Klangsprache Kapustins – manches knüpft an den späten Skrjabin an – und eine mannigfaltige Polyrhythmik stellen an die InterpretInnen besondere Anforderungen. In ihrer virtuosen Attitüde sind die Werke sowohl für ein klassisch orientiertes Publikum als auch für Jazzbegeisterte ausgesprochen interessant. Ein Prob­lem war bisher allerdings, dass der komplexe Klavierpart fast nur von Profis oder Klavierstudenten zu meistern war. Umso erfreulicher ist es, jetzt mit der Sonatine erstmalig ein Werk Kapustins zu haben, das sehr gut für SchülerInnen ab der Mittelstufe geeignet ist.
Die einsätzige Sonatina ist ein Auftragswerk einer Musikschule und entstand im Jahr 2000. Auf  insgesamt sechs Seiten, „allegro non troppo“ auszuführen, entfaltet sich ein rhythmisch lebendiger Sonatinensatz, in welchem eine genaue Artikulation vorgegeben ist. Gute Fingersätze helfen beim Einstudieren und der überschaubare, quasi zweistimmige Satz ergibt ein transparentes Klangbild.
Wenn ein Komponist sich in der Virtuosität und Komplexität der  Mittel zurückhalten muss, könnte dies zu einem Substanzverlust führen. Nicht so bei Kapustin. Ihm gelingt es, wie wir es schon von Mozart und Beethoven kennen, die hier natürlich Pate gestanden haben, eine in der klassischen Formgebung homogene, musikalisch sehr ansprechende Musik zu schreiben, die schon für weniger virtuose SpielerInnen reizvoll ist. Natürlich begegnen uns zahlreiche Synkopen – wie schon zu Beginn im ersten Thema und im lyrischen zweiten Thema – und Konfliktrhythmen – Duolen- und Triolenbewegungen gleichzeitig –, die einige Aufmerksamkeit erfordern. Der Ablauf des Sonatinensatzes hält sich an das klassische Formschema, wobei immer wieder überraschende harmonische Wendungen auftreten mit besonderen Alterationen und Querständen.
Beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ oder bei Schülerkonzerten hat die Sonatina sicher ihren Platz. Solche gut komponierte Crossover-Musik wird auch in der traditionell orientierten Klaviermethodik ihre Anerkennung finden. Die in einem gut lesbaren Notensatz gedruckte Edition enthält ein kurzes Vorwort. Als Bild für das Cover wurde sehr passend Wassily Kandinskys Imp­ression III (Konzert) gewählt.
Christoph J. Keller