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Herbst, Sebastian

Kooperationen üben

Zur Idee eines Praxissemesters für IGP-Studierende

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 5/2017 , musikschule )) DIREKT, Seite 02

Kooperationen prägen und verändern das Berufsbild von Musikschullehrkräften immer deutlicher. Zugleich scheinen Stu­dierende oft nicht ausreichend auf die längst alltägliche Berufsrealität vorbe­reitet zu sein. Wäre es daher nicht gut, wenn Studierende schon möglichst früh Ko­operationen üben könnten?

Auf dem Musikschulkongress 2017 in Stuttgart wurde in Vorträgen, Diskussionen und Workshops immer wieder deutlich, dass das Berufsbild „Musikschullehrer/in“ nicht zuletzt durch Kooperationen mit anderen Institutionen an Vielfalt gewinnt, auf die Studierende im Rahmen ihres Studiums vorzubereiten sind. Die Zusammen­arbeit mit unterschiedlichen Kooperations­partnern in Projekten gehört längst zum Alltag einer Musikschule. „Das Aufgabenspektrum der Musikschulen erweitert sich vor dem Hintergrund immer umfangreicherer Kooperationen mit allgemeinbildenden Schulen und verändert das Berufsbild des Musikschullehrers“, schreibt And­reas Jäger in seiner Dissertation.1
Jäger stellt unter anderem fest, dass bei Kooperationen mit Schulen die Kommunikation zwischen den Musikschullehrkräften und den LehrerInnen der allgemeinbildenden Schulen nicht immer ausreichend gut funktioniert und hauptsächlich organisatorische Fragen thematisiert werden. Ein Fachbereichsleiter, der ebenfalls Methodikseminare an einer Musikhochschule gegeben hat, äußert in dieser Studie zudem, dass Studierende beispielsweise überfordert seien, Inhalte einer ganzen Klasse vermitteln zu müssen, der Vermittlung also „einen anderen pädagogischen Ansatz als im Einzel- oder Kleingruppenunterricht zu Grunde legen [zu] müssen“. Er fordert daher „eine umfassende methodische Ausbildung für alle sowie eine von einer kompetenten und erfahrenen Persönlichkeit vermittelte Ausbildung im Klassenunterricht“.2
Offensichtlich besteht Bedarf, Studierende besser auf die berufliche Vielfalt mit ihren „neuen“ Aufgaben vorzubereiten. Und wo sind Studierende besser auf die Praxis vorzubereiten als in der Praxis selbst, wenn einer solchen Praxisphase eine fachdidaktische und forschungsorientierte Begleitung zugrunde liegt? Daher möchte ich in Anlehnung an das Praxissemester der Lehr­amtsstudiengänge die Idee eines Praxis­semesters für IGP-Studierende vorstellen.

Praxissemester – wozu?

Zur Professionalisierung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung und mit dem Ziel der Verbindung von Theorie und Praxis sowie der wissenschafts- und berufsfeldbezogenen Vorbereitung der Studierenden auf die Praxisanforderungen sieht §12 des Lehrerausbildungsgesetzes Nordrhein-Westfalen von 2009 vor, dass der Zugang zum Vor­bereitungsdienst neben einem Orientierungspraktikum und Eignungspraktikum ein Praxissemester von mindestens fünf Monaten Dauer erfordert. Laut §8 der Lehramtszugangsverordnung NRW 2009 sollen die Absolventinnen und Absolventen des Praxissemesters dann über die Fähigkeit verfügen,
) „grundlegende Elemente schulischen Leh­rens und Lernens auf der Basis von Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Bildungswissenschaften zu planen, durchzuführen und zu reflektieren“,
) „Konzepte und Verfahren von Leistungsbeurteilung, pädagogischer Diagnostik und individueller Förderung anzuwenden und zu reflektieren“,
) „den Erziehungsauftrag der Schule wahrzunehmen und sich an der Umsetzung zu beteiligen“,
) „theoriegeleitete Erkundungen im Handlungsfeld Schule zu planen, durchzuführen und auszuwerten sowie aus Erfahrungen in der Praxis Fragestellungen an Theorien zu entwickeln“ und
) „ein eigenes professionelles Selbstkonzept zu entwickeln.“3
Studierende im Praxissemester sollen ihr Rollenverständnis sowie ihre Berufsperspektive reflektieren, theoretische Studien mit ihren Erfahrungen in der Praxis verknüpfen und im Sinne forschenden Lernens Unterricht beobachten, analysieren, reflektieren und erproben. (Selbst-)Reflexion, Beratung, fachdidaktische und forschungsorientierte Begleitung sind dabei zentrale Aspekte des Praxissemesters.
Wie diese einzelnen Elemente in einem Praxissemester für IGP-Studierende umgesetzt werden könnten, werde ich im Folgenden beschreiben. Dabei ist anzumerken, dass die Ausführungen lediglich als Idee zu verstehen sind. Zur Umsetzung ist die Erarbeitung eines ausführlichen Modells in Zusammenarbeit von Hochschule, Musikschule und Schule unabdingbar. Klar dürfte jedoch sein, dass das Berufsbild der Musikschullehrkräfte mit der Einführung eines Praxissemesters zum Ziel der Professionalisierung auch an politischer Wertschätzung gewinnen müsste.

Praxissemester – wie?

Wie könnte ein Praxissemester für IGP-Studierende aussehen? Auch hier lehne ich meine Überlegungen an das Praxissemester der Lehramtsstudierenden an, das in Evaluationen von Studierenden sehr positiv hinsichtlich der Kompetenzentwicklung sowie der Entwicklung eines professionellen Selbstkonzepts bewertet wird, und an dessen Optimierung weiterhin in einer Vielzahl an Arbeitsgruppen gearbeitet wird. Als Teil einer dieser Arbeitsgruppen und Lehrender im Praxissemester für das Fach Musik sollen dabei auch meine eigenen Erfahrungen mit Praxissemesterstudierenden einfließen.
Vorbereitet durch ein Seminar im vorhe­rigen Semester sollte das Praxissemester mindestens fünf Monate umfassen, in denen sich die Studierenden an vier Tagen der Woche in der Musikschule befinden und neben der Hospitation im Unterricht und dem eigenen Unterrichten in weitere Bereiche der Musikschularbeit – unter anderem Konferenzen, Elterngespräche oder Gespräche mit Kooperationspartnern – ein­gebunden sind. Bezogen auf den Unterricht könnten die Studierenden z. B. an zwei Tagen im Einzel-, Gruppen- und Ensembleunterricht der Musikschule hospitieren und eigenen Unterricht unter Begleitung einer Mentorin bzw. eines Mentors und vor allem mit Feedback- und Reflexionsgesprächen erteilen. Es bestünde dabei die Möglichkeit, einzelne Schülerinnen und Schüler über einen längeren Zeitraum zu begleiten und im regelmäßigen Austausch mit den Mentorinnen und Men­toren zu stehen. Durch den recht ausgiebigen Zeitraum der Praxisphase könnte man Studierenden zudem die Möglichkeit geben, eine für Schülerin oder Schüler erste Unterrichtsstunde am Instrument zu erteilen, wenn Lehrende der Musikschule eine neue Schülerin oder einen neuen Schüler bekommen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass eine angemessene Deputatsermäßigung für die betreuenden Mentorinnen und Mentoren zwingend erforderlich wäre, um eine sinnvolle Begleitung der Studierenden zu gewährleisten.
Zwei weitere Tage stünden dann für die Arbeit in zwei unterschiedlichen Koope­rationsprojekten bereit. Dabei könnte man Studierenden anhand bestimmter Kriterien eine gewisse Wahlfreiheit lassen. Denkbar wäre zum Beispiel die Beteiligung an einem Kooperationsprojekt mit einer Grund­schule am einen Tag und die Beteiligung an einer Streicher- oder Bläserklasse in der Sekundarstufe I am anderen Tag. Hier sind selbstverständlich viele weitere Kombinationen denkbar, um das breite Arbeitsfeld von Musikschullehrenden möglichst gut abzudecken. Vor allem aber ist unbedingt Zeit für Austausch und Planung der Kooperationspartner einzuplanen, denn „gerade die Zusammenarbeit mit allgemeinbildenden Schulen verlangt – heute mehr denn je – nach einer vertieften Abstimmung“ und zieht „die Einbindung in schulische Abläufe nach sich“.4
Einen weiteren Tag der Woche verbringen die Studierenden schließlich in ihrer Hoch­schule. Neben fachdidaktischen Begleitveranstaltungen, in denen Fragestellungen aus den Erfahrungen der Praxisphase aufgegriffen, theoriegestützte Reflexion angeleitet und zentrale didaktische und pädagogische Inhalte thematisiert werden, nehmen die Studierenden an einem Begleitforschungsseminar teil, in dem sie ein begrenztes Studienprojekt durchführen, das sich möglichst aus einer für die eigene Unterrichtstätigkeit praxisrelevanten Fragestellung ergibt.
Ziel sollten hier nicht umfangreiche Forschungsprojekte sein, die die Studierenden zu methodisch vielseitigem Forschen befähigen oder einen erheblichen Beitrag zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn liefern. Vielmehr sollen die Studierenden im Sinne forschenden Lernens einen reflektierenden Blick auf ihren Unterricht entwickeln, der ihnen ermöglicht, im späteren Berufsalltag Prob­lemstellen im Unterricht wahrzunehmen, zu beobachten, zu analysieren und schließlich gezielt an Verbesserungen zu arbeiten.

Portfolioarbeit

Die Praxisphase sei zudem durch ein Portfolio begleitet, das die Entwicklung der Re­flexionskompetenz unterstützt. Die Portfolioarbeit sollte dabei durch fachdidak­tische Begleitseminare betreut werden, die zur Reflexion anleiten. Aus eigener Erfahrung mit Praxissemesterstudierenden erweist sich die Arbeit an Videomitschnitten des eigenen Unterrichts als besonders hilfreich, wenn diese anschließend in kolle­gialer Fallberatung bearbeitet und durch schriftliche Reflexionselemente ergänzt werden. In einer Begleitforschung zum Einsatz dieser Methoden äußerten Studierende unter anderem, dass das Video ihnen die Möglichkeit gebe, Feedback noch einmal nachzuprüfen und dadurch besser nachvollziehen zu können. Zudem gaben sie an, dass Lösungsvorschläge der Kommilitoninnen und Kommilitonen zu neuen Ideen anregen und die Arbeit an den Videos der anderen auch für das eigene Unterrichten relevante Aspekte thematisiere. Die genaue Analyse einzelner Unterrichtssituationen unter einem Aspekt wurde dabei als sehr gewinnbringend erachtet.
Diese Verbindung von Theorie und Praxis sollte erreichen, dass sich der forschende und reflektierende Blick auf den eigenen Unterricht auch im Berufsleben fortsetzt und eventuell zu mehr Austausch, Hospitationen, Feedback und Zusammenarbeit unter zukünftigen Kolleginnen und Kollegen im Sinne stetiger Verbesserung von Unterricht führt. In jedem Fall stellt das Praxissemester aber einen wichtigen Baustein zum Erreichen dieses Ziels dar.

Kooperationen üben

In Bezug auf Kooperationen von Schule und Musikschule merkt Andreas Jäger in seiner Dissertation an, dass zwei sehr unterschiedliche Berufswelten aufeinanderträfen: auf der einen Seite „der auf die Förderung von Klassen ausgebildete und auf breite musikalische Bildung ausgelegte Pädagoge“ und auf der anderen Seite „der auf künstlerische Individualität ausgerichtete, meist im Einzelunterricht lehrende Musiker“.5 Daher möchte ich den Vorschlag, Kooperationen mit Schulen in einem Praxissemester vor Ort zu üben und zu reflektieren, noch einmal besonders hervorheben. Anders als bei Jäger, der in Anlehnung an Ortwin Nimczik den Vorschlag macht, die „Kompetenzen beider Berufe in einer Person und damit in einer Ausbildung zusammenzuführen“,6 plädiere ich für eine Nutzung der jeweiligen Expertise bei einer frühzeitigen Einübung von Kooperationen in der Zusammenarbeit beider Kooperationspartner.
Wäre es nicht denkbar, dass Praxissemesterstudierende der Instrumental- und Gesangspädagogik Kooperationen bzw. Tandems mit Praxissemesterstudierenden an allgemeinbildenden Schulen bilden? Koppelt man ein Praxissemester für IGP-Studierende zeitlich an das Praxissemester der Lehramtsstudierenden und räumt Zeit für Planungsprozesse und gemeinsamen Austausch ein, so wäre die Bildung von Tandems durchaus möglich. Zudem sollten dann auch die Begleitveranstaltungen der Hochschule bzw. Universität ein Modell zur kooperativen Begleitung der Studierenden entwickeln und gemeinsame Seminareinheiten durchführen. Die beiden Studiengänge der Hochschule bzw. Universität könnten so als Vorbild stehen für ein Gemeinsames statt eines Nebeneinander oder Getrenntvoneinander.
Sicher ist, dass ein bereits im Studium implementiertes Üben von Kooperationen sowohl für IGP- als auch für Lehramtsstudierende äußerst gewinnbringend zur Vorbereitung auf die anspruchsvolle berufliche Vielfalt wäre. Zudem könnte das frühe Üben von Kooperationen einen Beitrag zu einer Professionalisierung von Kooperationen bei gegenseitiger wertschätzender Anerkennung und sinnvoller Nutzung der jeweiligen Expertise leisten.

1 Andreas Jäger: Musikschulen in Kooperation mit allgemeinbildenden Schulen. Wandel des Berufsbildes Musikschullehrer am Beispiel des Unterrichtsmodells „Stark durch Musik“, Wißner, Augsburg 2012, S. 13.
2 ebd., S. 155.
3 Verordnung über den Zugang zum nordrhein-westfälischen Vorbereitungsdienst für Lehrämter an Schulen und Voraussetzungen bundesweiter Mobilität (Lehramtsverordnung – LZV) vom 18. Juni 2009, §8.
4 Verband deutscher Musikschulen: Stuttgarter Appell 2017, S. 2, www.musikschulen.de/medien/doks/Positionen_Erklaerungen/stuttgarter-appell-vdm-bundesversammlung.pdf
5 Jäger, S. 12.
6 ebd. S. 199.