Gerland, Juliane

Ganz normal digital?

Das Forschungsprojekt be_smart untersucht Teilhabechancen durch Musikapps für inklusionsorientierte Musikpädagogik

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 4/2018 , musikschule )) DIREKT, Seite 05

Im Kontext von Arbeitskommunikation oder Unterhaltungsmedien würden viele nur ungern auf die Vorteile der Digitalisierung verzichten wollen. In anderen Lebens­bereichen erscheinen digitale Technologien zuweilen eher wie ein Verlust oder eine flache Kopie des als echt und authentisch empfundenen Analogen – beispielsweise in Situationen, deren Gehalt sich un­mittelbar am zwischenmenschlichen Kontakt bemisst, etwa in der Pflege oder der Kindererziehung.

Digitales Musizieren?

Aber wie sieht es aus mit Digitalität im Kontext von Musikunterricht oder Musizieren überhaupt? Auch beim Musizieren sind optimierte Prozesse wichtig. Technik und Geschwindigkeit faszinieren, ob in der instrumentaltechnischen Dimension einer anspruchsvollen Chopin-Etüde oder bei der Weiterentwicklung von Electronic Dance Music. Andererseits beziehen wir uns als Musikpädagoginnen und Musikpädagogen häufig auf die besondere Erlebensqualität, die dem Musizieren und besonders dem gemeinsamen Musizieren immanent ist – und meinen damit in praktisch allen Fällen analoge Situationen. Wir denken an Klangerzeugungsprinzipien und Schwingungen traditioneller, „echter“ Instrumente und an eine spezielle Kommunikation, die zwischen Mitgliedern eines Ensembles zu präzisen Abstimmungsprozessen führen kann.
Lässt sich diese besondere Erlebensqualität auch beim Musizieren mit Apps herstellen? Welche Apps sind geeignet und wie lassen sie sich in musikpädagogischen Handlungsfeldern sinnvoll verwenden? Das Forschungsprojekt be_smart (gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung nach der Förderrichtlinie „Di­gitalisierung in der kulturellen Bildung“) befasst sich bis September 2021 mit Fragen, die im Zusammenhang von Digitalisierung und inklusionsorientierter Musikpädagogik entstehen. Untersucht werden soll, ob das Musizieren mit Apps für Jugendliche und junge Erwachsene mit komplexer Behinderung eine Chance auf musikalisch-kulturelle Teilhabe bieten kann.

Können Apps die Teilhabe an Musik erleichtern?

Ein Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Siegen und der Fachhochschule Bielefeld untersucht in vier empirischen Phasen, ob und wie sich Teilhabe an Musik durch Musikapps realisieren lässt. Zu Beginn werden Expertinnen und Experten der beteiligten Felder befragt, um den inhaltlichen Kontext des Forschungsprojekts möglichst detailliert beleuchten zu können. Von besonderer Relevanz sind die jeweiligen Expertisen der Akteurinnen und Akteure der un­terschiedlichen Felder.
Wie beurteilen Musikpädagoginnen und Musikpädagogen, die mit Menschen mit komplexer Behinderung arbeiten, das Musizieren mit Apps? Was meinen Expertinnen und Experten, die sich mit der Adaption von assistiven Technologien für die All­tagsbewältigung für Menschen mit komplexer Behinderung auseinandersetzen? Welche Apps empfehlen Musikerinnen und Musiker, deren Schwerpunkt das Musizieren mit Apps ist?
In der zweiten Phase steht das individuelle Erleben der Jugendlichen mit Behinderung, die Musikapps benutzen, im Fokus. Wie gebrauchen sie Apps? Hören sie ausschließlich Musik oder werden sie selbst aktiv? Falls ja, eher im Bereich von experimenteller Klangerzeugung oder als digitale Version eines analogen Instruments?
Einstellungen und Haltungen von Musikpädagoginnen und Musikpädagogen aus unterschiedlichen Praxisfeldern bilden das Zentrum der dritten Phase. Hier soll erhoben werden, wie sich Musikpädagoginnen und Musikpädagogen aus Musikschulen, aber auch aus Regel- und Förderschulen und der eher informellen Szene allgemein mit Digitalisierung in ihrer Unterrichtspraxis auseinandersetzen und wie es konkret in inklusiven Unterrichtssettings aussieht. Die Ergebnisse dieser Phase sind auch für den Verband deutscher Musikschulen als assoziiertem Projektpartner von besonderem Interesse, denn die hier gewonnenen Erkenntnisse können Aufschluss geben über mögliche Fortbildungsbedarfe und neu zu entwickelnde Angebotsstrukturen in Musikschulen.
Abgerundet wird das Forschungsprojekt mit einer Phase, die Aufschluss darüber erbringen soll, wie sich Teilhabe eigentlich in inklusiven musikpädagogischen Settings, in denen Musikapps Anwendung finden, vollzieht. Dazu sollen die Interaktionen der unterschiedlichen Musizierenden präzise analysiert werden. Besonders aufschlussreich scheinen hier Musiziersituationen zu sein, in denen Musikapps mit traditionellen analogen Instrumenten kombiniert werden.

Information: http://besmart.bildung.uni-siegen.de

Kontakt: juliane.gerland@fh-bielefeld.de