Keller, Christoph J.

Reise ins Neuland

Einstiegshilfen in die zeitgenössische Klaviermusik

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 5/2018 , Seite 26

Für manche KlavierstudentInnen ist es immer noch schwierig, einen Zugang zur Klaviermusik des 20. und 21. Jahrhunderts zu finden. Gilt es doch, dabei auf vertraute ­harmonische Grundlagen wie die Dur-Moll-Tonalität zu verzichten und sich auf harmonisches, rhyth­misches und gestalterisches Neuland einzulassen. Systematische Anlei­tun­gen hierzu gibt es bisher nur wenige.

In den drei Bänden Die hörende Hand von Catherine Vickers finden sich vielfältige Materialien, Übungen und Anregungen, um sich auf die zeitgenössische Musik vorzubereiten und pianistisch einzustimmen. Entscheidend hierbei ist die Erweiterung des Hörhorizonts. Dazu eignen sich die sieben Modi von Olivier Messiaen besonders gut. Schon im ersten Modus begegnet uns mit der Ganztonleiter Bekanntes. Beide Ganztonleitern werden zunächst über die komplette Tastatur mit verschiedenen Fingersätzen trainiert, bevor sie intervallisch erweitert werden. Hierzu sind Sep­time, None und Quarte/Tritonus besonders geeignet, weil sie das harmonische Umfeld in Richtung einer freien Tonalität offenhalten.
Neue, verdichtete Harmoniefelder ergeben sich, wenn dieser Modus als fünftöniger Cluster gespielt wird:

Auch sind Umkehrungen dieser Akkordstrukturen möglich, von Catherine Vickers als lagenpermutierte Tonkomplexe bezeichnet:

Es ist zu empfehlen, solche verdichteten Akkordstrukturen, die dem ungeübten Ohr zunächst undifferenziert erscheinen können, gründlich zu üben, indem z. B. einzelne Töne herausgehoben werden. Dabei kann das Gehör mehr und mehr differenzierte Klangfarben erleben. Auch ist es hilfreich, mit Haltetönen zu arbeiten, um zunächst in der Hand die einzelnen Finger separat zu spüren – wie beim folgenden Notenbeispiel, wo der Daumen der rechten Hand und der kleine Finger der linken Hand die ­Töne liegenlassen, während die anderen Akkordtöne repetiert werden:

Klangfarbenmelodie

Im 20. Jahrhundert hat sich in vielen Kompositionen die Klangfarbenmelodie emanzipiert. Diese kann in unterschiedlichen Formen auftreten. Es können beispielsweise Melodie­töne, Töne eines Modus oder einer Zwölftonreihe in unterschiedlichsten Lagen erscheinen. Beim Klavier ist es deshalb gut, zunächst vertraute Klanggebilde auf solche expandierende Lagen zu verteilen. Dies ist zum einen grifftechnisch nicht einfach und zum anderen muss das Ohr trainiert werden, die melodisch-gestalterischen Zusammenhänge trotz der rasch wechselnden Klanglagen herauszuhören.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2018.