© Monika Mandelartz

Mandelartz, Monika

Nicht von Pappe? – Doch!

Pappharfen bieten erstaunliche ­Möglichkeiten für den Gruppenunterricht

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2018 , Seite 44

Eine Pappharfe? Warum nicht, dachte sich Monika Mandelartz, und war positiv überrascht von der Qualität des Instruments. Darüber hinaus konnte mit den Harfen ein ganz neues Unterrichts­angebot in einer Grundschule entstehen.

Im Sommer 2016 hatte ich mir aus Neugierde einen Harfenbausatz von Dennis Waring aus den USA schicken lassen. Über diese Bausätze war ziemlich Widersprüchliches zu hören, Positives wie auch Negatives. Auf YouTube kursieren einige Videos, aber auf den tatsächlichen Klang des Instruments kann man damit nicht schließen. In Frankreich bauen Véronique Musson-Gonneaud und Pascal Bernard sehr ähnliche Modelle, die aber viel größer und teurer sind.
Da ich als Spielerin gotischer Harfen einen kleinen Tonumfang durchaus zu schätzen weiß, ließ ich mir für 149 US-Dollar einen Bausatz von Dennis Waring schicken. Mit Porto und Steuern wurde der „billige“ Bausatz dann doch ein wenig teurer und kam etwa auf 220 Euro. Diesen Bausatz nahm ich mit zum Unterricht und baute ihn im Laufe einer Woche mit meinen SchülerInnen zusammen. Da ich selbst handwerklich nicht besonders geschickt bin, war ich verblüfft und umso mehr erfreut, dass mit Hilfe meiner SchülerInnen eine ziemlich anständige kleine Harfe entstand. Der Korpus ist aus Pappe, der Rahmen aus dicken Holzlatten und die Saiten sind aus Nylon: insgesamt eine erstaunlich stabile Konstruktion. Die Harfe hat den gleichen Tonumfang wie meine gotische Harfe und die Instrumente, die meine SchülerInnen spielen. Somit ist die Literaturfrage kein Thema.
Mit einer Mischung aus Freude und Erstaunen zeigte ich meine neue Pappharfe herum und stieß auf reichlich Interesse: von Neugierigen, die einfach mal eine Harfe ausprobieren und logischerweise nicht gleich viel Geld ausgeben wollten, aber auch von Profis, die eine billige Harfe als Notlösung auf dem Fahrrad oder zum Camping mitnehmen wollten. Kurzentschlossen bestellte ich bei Dennis Waring 20 Bausätze und konnte diese innerhalb kürzester Zeit zum Selbstkostenpreis weitergeben. Auch die Musikschule kaufte fünf Instrumente. Mit diesen konnte ein völlig neues Unterrichtsangebot in einer Grundschule entstehen.

Rahmenbedingungen

Der Harfenkurs findet unter dem Titel „Harfe spielen und Singen“ in der Grundschule Fahrenkrön statt. Kooperationspartnerin ist die Staatliche Jugendmusikschule Hamburg. SchülerInnen der Grundschule melden sich für ein halbes Jahr an und bekommen einmal wöchentlich 45 Minuten Gruppenunterricht. Die Harfen bleiben in der Regel in der Schule, können aber zwischen den Unterrichts­tagen auch von den Eltern mit nach Hause genommen werden. Zwei Harfen stehen in einem Ruheraum und können dort von jedem gespielt werden. Weder das formlose Ausleihen noch den Zugang für alle SchülerInnen, nicht nur für die SchülerInnen des Harfenkurses, zu den Harfen im Ruheraum könnte ich mir mit anderen Instrumenten vorstellen. Die Pappharfen sind extrem stabil und bislang ist nichts kaputt gegangen, obwohl nicht alle SchülerInnen im Ruheraum sorgfältig mit ihnen umgehen.
Die SchülerInnen kommen aus der 1. bis 4. Klasse; einige üben regelmäßig, andere gar nicht, einige meldeten sich zum Folgekurs an, andere nur zu einem Halbjahr. Maximal acht Kinder besuchen einen Kurs.

Ohne Noten in C-Dur

Ich arbeite mit den SchülerInnen ohne Noten. Noten und Notenständer bringen zu viel Unruhe: Noten einheften, Notenständer einrichten, Noten werden vergessen – nein, das schaffen wir nicht. Singen sollte, so war meine ursprüngliche Konzeption, eine große Rolle spielen. Während der Vorbereitung des Kurses überlegte ich, ob ich die Harfen nicht besser in F-Dur stimmen sollte, damit wir eine angenehmere Lage zum Singen haben. Letztendlich habe ich mich doch dafür entschieden, in C-Dur zu bleiben, um eine größere Kompatibilität zu anderen Unterrichts­fächern und -inhalten herzustellen. Wenn wir höher singen wollen, so dachte ich, können wir auch in G-Dur singen und spielen. In der Praxis jedoch erwies sich, dass es leichter umzusetzen ist, auf der Harfe zunächst immer mit den farbigen Saiten, in unserem Fall also mit C, zu beginnen.

Singen im Unterricht

Wir singen im Unterricht zum einen, um die Lieder mit allen Strophen kennenzulernen. Und zum anderen singt manch einer die Melodie bei seinem Spiel auf der Harfe gerne mit – oder auch ich singe leise mit. Beim Singen mit dem Instrument gibt natürlich die Harfe die Tonhöhe vor. Wenn wir jedoch ohne Harfespiel singen, wähle ich meistens eine höhere Tonlage.

Mit Singen und Harfe spielen wird das Gehör geschult und intuitiv das Notensystem gelernt. So kann dieser Unterricht auch eine sinnvolle Ergänzung zu einem anderen Inst­rumentalunterricht sein.

Wir beginnen mit dem Spielen von Liedern wie Alle meine Entchen, Hopp, hopp, hopp, Taler, Taler, du musst wandern, Morgen kommt der Weihnachtsmann, Lavender green oder Im Märzen der Bauer. Am Anfang der Unterrichtsstunde sitzen wir im Kreis und ich gebe eine Harfe herum, auf der jeder spielt, was er gerade kann. Da gibt es einige, die noch an Alle meine Entchen üben, andere, die schon Morgen kommt der Weihnachtsmann spielen und einer ist schon bei Im Märzen der Bauer. Die Gruppe ist also sehr inhomogen. Wer sein Lied fehlerfrei spielt, wird in eine Liste eingetragen, die im Unterrichtsraum hängt. Danach gibt es ein neues Thema oder eine Wiederholung mit der ganzen Gruppe: Die Tonleiter, die Teile der Harfe benennen oder auch ein neues Lied und seine Spielweise.
Im regulären Harfenunterricht ist es mir wichtig, auch Klangstücke zu spielen, mit bestimmten Intervallen zu improvisieren und Lieder zu begleiten. In diesem Kurs fehlt uns dazu leider die Zeit. Ich merke, dass die Kinder selbst vor allem Lieder spielen und daran auch weiter üben wollen. Wenn wir ein neues Lied lernen, so wird es zunächst gesungen, dann spiele ich es in Abschnitten vor und reiche eine Harfe herum, auf der jeder einmal spielen darf. Hier machen alle SchülerInnen mit, auch die, die noch ganz am Anfang sind. So lernen alle die neuen Spieltechniken und da ich in sehr kleinen Abschnitten vorspiele, ist es für niemanden zu schwer.

Fingersätze

Ich gebe klare Fingersätze vor, bei denen sich beide Hände abwechseln. Wir spielen die Lieder zunächst nur mit dem zweiten Finger (zunächst mit rechts oder links, dann mit beiden Händen im Wechsel). Bei Taler, Taler, du musst wandern kommt der dritte Finger mit Wechselanschlägen 3-2 hinzu und ab Lavender green Zweierklammern mit 2-3 und 3-2. Den Daumen benutzen wir nicht. Mit dieser Spieltechnik erreichen wir eine entspannte Spielhaltung.
Nach der Lerneinheit im Plenum teile ich die Gruppe in Zweiergruppen ein und gebe individuelle Aufgaben, etwa: „Nina hilft bitte Jakob bei Alle meine Entchen“ oder „Florian und Anna üben das neue Lied“. Nun ist es sehr vorteilhaft, dass die Harfen nicht so laut sind. Mit den Pappharfen stört es nur wenig, wenn mehrere SchülerInnen im Raum gleichzeitig unterschiedliche Lieder spielen. Ich gehe herum und helfe, korrigiere die Haltung, gebe Tipps. Dass alle durcheinander spielen, ist natürlich nicht ideal. Ich merke, wie manch einer immer lauter spielt, um sich Gehör zu verschaffen. Allein, in dieser kurzen Unterrichtszeit ist ein Raumwechsel nicht möglich. Ich versuche, darauf zu achten, dass auch die fortgeschritteneren SchülerInnen zum Zuge kommen, indem ich mich am Ende der Unterrichtsstunde besonders ihnen widme und ihnen noch eine kleine weiterführende Aufgabe gebe.

Ausblick

Ich finde es bemerkenswert, dass diese sehr gemischte Unterrichtsgruppe so gut funktioniert. Mit einem anderen Instrument (ich unterrichte an der Musikschule auch Blockflöte und Cembalo) könnte ich mir einen solchen Unterricht kaum vorstellen. Mit der Harfe ist der Unterricht in einer derart großen Gruppe nur deswegen möglich, weil zum einen die Töne und Saiten auf der Harfe so klar organisiert sind, und zum anderen, weil mit den Pappharfen tatsächlich auch ein relativ konzentriertes und individuelles Üben mehrerer SchülerInnen in einem Raum möglich ist.
Mit Singen und Harfe spielen wird das Gehör geschult und intuitiv das Notensystem gelernt. So kann dieser Unterricht auch eine sinnvolle Ergänzung zu einem anderen Inst­rumentalunterricht sein. Ich habe Kinder im Kurs, die in der Musikschule ein anderes Inst­rument lernen. Bei uns liegt der Schwerpunkt auf dem Hören und Nachspielen. SchülerInnen, die wirklich interessiert sind, nehmen meine Hinweise zur Spielhaltung auf und versuchen auch beim Üben, daran zu denken. Andere wiederum sind schon glücklich, wenn es ihnen gelingt, ein Lied nachzuspielen. Auch wenn bei ihnen noch nicht alles korrekt umgesetzt wird, lernen sie doch das Tonsystem kennen, nach dem Gehör zu spielen und zu memorieren. In diesem Kurs wird Selbstständigkeit gefördert, denn hier erinnert niemand an das Üben. Die Kinder wissen: Wenn sie Harfe lernen wollen, müssen sie selbst aktiv werden. Die Möglichkeit dazu besteht, denn im Ruheraum, der nachmittags geöffnet ist, stehen immer zwei Harfen zur freien Verfügung.
Ich selbst bin neugierig und gespannt, wie sich der Kurs weiterentwickeln wird. Wird es SchülerInnen geben, die dranbleiben, die alleine für sich weiterüben oder gar zum regulären Harfenunterricht wechseln? Für das kommende Schulhalbjahr haben sich zehn Kinder angemeldet: vier neue SchülerInnen, zwei aus dem vorletzten und vier aus dem gerade zu Ende gehenden Kurs. Ich habe mir vorgenommen, die gleichen Unterrichtsinhalte (zunächst ein Lied mit Tonleiter nur mit den zweiten Fingern, dann ein Lied mit beiden Händen im Wechsel, dann Tonrepetitionen 3-2, dann Zweierklammern 2-3) mit anderen Liedern durchzunehmen. Diejenigen, die den Kurs wiederholen, erweitern so ihr Repertoire. Ich hoffe, dass der Kurs auf diese Weise für AnfängerInnen wie Fortgeschrittenere gleichermaßen interessant bleibt.

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