© Musikschule der Stadt Bregenz

Heiler, Peter

Musikschule in der Schule

Vorarlberger Musikschulen überzeugen durch erfolgreiche ­Schulkooperationen auch die politisch Verantwortlichen

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 5/2018 , musikschule )) DIREKT, Seite 02

„Das Land Vorarlberg fördert das Vorarlberger Musikschulwesen mit dem Ziel, ein möglichst flächendeckendes Netz leistungsfähiger Musikschulen zu schaffen. Interessierten aller Altersgruppen soll der Zugang zu einer Musikschule zu sozial verträglichen Tarifen offen stehen.“

Mit diesem starken Statement in den Mu­­sikschul-Förderrichtlinien, 1992 von der Landesregierung formuliert und verbunden mit der Übernahme von 36,67 Prozent der Personalkosten, stieg die Zahl der SchülerInnen an den Musikschulen in Vorarlberg bis 2010 auf etwa 14000. Damit besuchte jedes dritte Kind im Pflichtschul­alter eine Musikschule.

Veränderungen in der Bildungslandschaft

Warum sind bei diesem hohen Versorgungs­grad an Musikschulunterricht Kooperationen ein Thema geworden? Die Entwicklung ist brüchig geworden – nicht in den ländlich geprägten Gebieten, aber in den Ballungsräumen, so auch im fortan ausgeführten Beispiel der Landeshauptstadt Bre­genz mit ihren rund 27000 EinwohnerInnen und deren Musikschule mit ca. 1150 SchülerInnen im Jahr 2010. Die Zahl der Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren, die ein Instrument lernen wollten, nahm jedoch beständig ab, im gleichen Maß, wie sich Ganztagsschulen und Nachmittagsbetreuung mehr und mehr etablierten.
Einerseits brach das klassische Klientel der Mittelschicht mehr und mehr weg, andererseits wurde schmerzlich bewusst, dass bisher sozial eher schwache sowie migrantische Bevölkerungsgruppen deutlich unterproportional erreicht wurden. Im Anspruch, niederschwellig offen für alle zu sein, galt es fortan, auf mehrere Schwellen zu achten: Geld, Zeit, Örtlichkeit und die musikalische Sozialisation, um Struktur und Angebot danach auszurichten.

Motivationen zur Kooperation

Eine Zusammenarbeit von Schule und Mu­sikschule war also einerseits aus der Musikschule heraus motiviert, insbesondere zum Erhalt der Schülerzahlen und damit auch der Arbeitsplätze, aber auch zur Erweiterung des Berufsbilds und der Erschlie­ßung neuer Musizierformen. Die Schulen und die Politik sind andererseits um die Attraktivität der Schulstandorte, insbesondere der Ganztagsschulen, bemüht. Dazu gehört neben dem Vorteil, alle Lernangebote an einem Ort vorzufinden, auch die Erhöhung der Qualität der musischen Bildung in der Schule.
Insbesondere in Kooperationen wird die Qualität unterschiedlich wahrgenommen. Deshalb bedarf es einer gemeinsamen Definition beider Partnerinnen. Es treffen zwei Lehr­pläne aufeinander – mit allgemeinen musikalischen Lernzielen hier und ganz konkreten Fertigkeiten dort –, die doch bei­de gemein haben, so einfach wie möglich ins Musizieren zu kommen. Um das zu erreichen, hat sich an der Musikschule Bregenz eine Unterrichtsstruktur herausgebildet, welche versucht, Schule und Musikschule gleichermaßen gerecht zu werden.

Das Modell in Bregenz

In den aktuell stattfindenden Kooperationen mit Volksschulen (Grundschulen) werden die ersten beiden Jahrgänge als EMP- oder Singklassen geführt. Die Musikschul- und Klassenlehrkraft unterrichten einmal wöchentlich im Teamteaching. In der zweiten Klasse werden zum Ende des Schuljahrs die Instrumente vorgestellt, die im folgenden Jahr angeboten werden. Die Kinder erstellen eine Reihung ihrer Wunschinstrumente; meistens kann der Erstwunsch erfüllt werden. Ab der dritten Klasse werden drei bis fünf Kinder in Gruppen gleicher Instrumente eingeteilt und einmal wöchentlich parallel in unterschiedlichen Räumen von Instrumentallehrkräften unterrichtet. Ergänzend erhält die gesamte Klas­se einmal pro Woche Ensembleunterricht von einer Musikschul- und der Klassenlehrkraft.
Im Schuljahr 2017/18 unterrichteten Lehr­kräfte der Musikschule Bregenz an Volksschulen 398 Kinder – das sind 25,8 Prozent der Musikschul-Gesamtschülerzahl – in
– 7 EMP-Klassen
– 2 Singklassen
– 4 gemischten Bläserklassen
– 1 Holzbläserklasse
– 3 Gitarrenklassen
– 1 Streicherklasse
– 1 Tastenklasse (E-Piano/Akkordeon).
Die Struktur des Unterrichts definiert zugleich die Rahmenbedingungen für die ­erforderliche räumliche Infrastruktur und Instrumentenausstattung, die in einer schul­internen Vereinbarung festgehalten ist. Besonders der parallele Gruppenunterricht stellt eine große Herausforderung dar: Bei Schulneubauten wurden und werden ei­gene Räume für den Musikschulunterricht mit bedacht. Jeweils vier entsprechend adaptierte Räume für den Kleingruppenunterricht und ein Orchesterproberaum stehen als „Musikschule in der Schule“ zur Verfügung. Diese Räume werden auch für den „normalen“ Unterricht der Musikschule verwendet.
Die instrumentale Ausstattung wird gemeinsam getragen: Die Schule finanziert die EMP-Instrumente aus Geldern für die Ganztagsbetreuung, die Musikschule kauft zum großen Teil die Instrumente, die Blasinstrumente werden von den entsprechenden Vereinen zur Verfügung gestellt. Für die Instandhaltung der Instrumente kommt der örtliche Rotary Club jedes Jahr mit einer großen Summe auf. Die Ausleihe ist für die Kinder kostenlos. Die Betreuung des Instrumentariums liegt zur Gänze bei der Musikschule.

Organisatorische Struktur

– Der kooperative Musikunterricht findet vormittags statt und wird von den Kindern als regulärer Unterricht wahrgenommen. Dadurch ist eine wesentlich höhere Aufmerksamkeit und Ernsthaftigkeit gegeben. Den Musikschullehrkräften bietet dies eine bessere Aufteilung ihrer Arbeitszeit.
– Er findet im Teamteaching statt, wobei formal die Aufsichtspflicht bei der Klassenlehrkraft liegt und der fachliche Input bei den Musikschullehrenden. Beide beteiligen sich gleichermaßen am Unterricht in Form einer gegenseitigen Qualifizierung. Die Unterrichtsinhalte werden – vor allem, wenn die Klassenlehrkraft ein Instrument mitlernt – auch während der weiteren Woche behandelt und geübt.
– Der EMP-Unterricht und die Singklassen orientieren sich am Jahreslauf und den Themen der Klasse.
– Lehrkräfte tauschen sich zu Schuljahresbeginn und bei aktuellen Anlässen zu Organisations- und pädagogischen Fragen aus.
– Die Entscheidung zu einer Musikklasse trifft das Schulforum (Eltern, Lehrkräfte und Schulleitung), da die Teilnahme mit Kosten für die Eltern verbunden ist.

Wie definiert sich der Erfolg?

Der eigentliche Erfolg einer Kooperation entsteht jedoch durch die handelnden Personen im Unterricht, den Lehrkräften beider Schultypen. Doch was ist Erfolg? Dass die Kompetenzen am Ende der vierten Schulstufe erfüllt wurden, vielleicht sogar übererfüllt? Dass den Kindern ein Liedgut mitgegeben wurde, sie tätiges Musizieren erfahren, sich im Ensemble wahr­nehmen, sich selbst auf andere Weise erleben durften, zuhören lernten und reagieren? Dass sie aufmerksamer sind für unterschiedliche Musik, aber auch anderen und sich selbst gegenüber? Dass sie auf einer Bühne für andere musizierten, Applaus und Bestätigung erhielten, dass der eine oder andere lernte, sein Instrument und die Musik wertzuschätzen, vielleicht der Wunsch ent­stand, weiterhin zu musizieren? Ein breites Spektrum allemal, mehr oder weniger erreicht von allen. Und der größte Wert dabei: Ausnahmslos die ganze Klasse war beteiligt, niemand ausgeschlossen und jeder nimmt mit, was ihm möglich war.
Die beschriebenen Erfolgswerte erfordern eine besondere Haltung des Lehrens. Musikschullehrkräfte sollten sich hüten, diese mit den Erfolgsparametern ihres gewohnten Unterrichts zu vergleichen, der auf einem anderen Grad der Freiwilligkeit basiert und sehr oft auch vorselektiert ist in der Zusammensetzung. Im Kooperationsunterricht gilt es, das Selbstverständliche, welches sich aus dem verpflichtenden Charakter ergibt, und die verschiedenen Talente und Rollen der Kinder zu nutzen, informelles Lernen zuzulassen und zu ermöglichen sowie sich die Zeit zu geben für interaktives Lernen und freudvolles Spiel mit kleinen Bausteinen. Nur die Lehrkraft, welche dies akzeptiert, wird Freude an ihrem Tun empfinden und Freude am Musizieren vermitteln können.
Natürlich gibt es auch ernst zu nehmende Kritik, dass Instrumentalmusik nicht standardisiert erst mit der dritten Klasse beginnen kann und darf, dass besondere Talente nicht individuell gefördert werden können, dass die Musikschulen sich mit diesen Angeboten selbst Konkurrenz machen und Anspruchslosigkeit suggerieren. Es sollte kein Gegeneinander, sondern ein Miteinan­der der pädagogischen Konzepte sein und als Herausforderung angenommen werden, die jeweils beste Lösung für das jeweilige Kind und die jeweilige Situation zu finden. Dies erfordert die beständig transparente Darstellung aller Lernwege und deren jeweilige Qualitäten an alle Stakeholder, insbesondere an die Eltern.

Die Finanzierung

Die Stadt Bregenz trägt rund 38 Prozent der Personalkosten sowie alle Sachaufwände und Infrastrukturkosten. 36,67 Prozent der Personalkosten fördert das Land Vorarlberg. Rund 25 Prozent sind durch Elternbeiträge abzudecken, aktuell ist das pro Semester Instrumentalunterricht ein Beitrag von 65 Euro pro Kind. Die Teilnahme an den EMP- und Singklassen – für die Kinder kostenfrei – wurde bisher aus Mitteln der Elternvereine, der Schule oder der Stadt bezahlt.
Eine sehr hohe Wertschätzung erfahren diese Kooperationen durch den Beschluss der Landesregierung vom 10. Juli 2018: „Kooperationen zwischen Musikschulen und Schulen werden in Vorarlberg bereits erfolgreich praktiziert. Insbesondere erwei­sen sich dabei Kooperationen im Rahmen des stundenplanmäßigen Unterrichts als von großem Mehrwert für Lernende und Lehrende. Das Land Vorarlberg wird für bereits laufende oder mit dem Schuljahr 18/19 startende Kooperationen die Kosten übernehmen.“ – Eine schöne Bestätigung unserer Arbeit!