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Breitsprecher, Annette

„Ich liebe meinen Beruf, aber…“

Ergebnisse einer Umfrage unter Berliner Musikschullehrkräften

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 3/2016 , musikschule )) DIREKT, Seite 07

Ende 2012 erließ die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft trotz heftigen Protestes seitens der Lehrkräfte und Schülereltern, der auch von viel musikalischer Prominenz unterstützt wurde, neue „Ausführungsvorschriften Honorare an den Musikschulen“. Ziel war, die Selbstständigkeit der zu 93% als freie Mitarbeiter beschäftigten Lehrkräfte rechtlich abzusichern, denn im Vorfeld hatte die Deutsche Rentenversicherung anlässlich einer Betriebsprüfung an der Musikschule Marzahn-Hellersdorf festgestellt, dass von abhängigen Beschäftigungsverhältnissen auszugehen sei.

In der Folge wurden alle bestehenden Honorarverträge gekündigt. Die Musikschullehrkräfte waren gezwungen, neue Verträge zu unterschreiben, welche die vorher schon schwierigen Arbeitsbedingungen weiter verschärften und im Sinne einer intendierten Vergrößerung des „unternehmerischen Risikos“ die Lasten weiter auf den Rücken der Honorarkräfte verschoben. Unter anderem wird nun für jedes Unterrichtsverhältnis ein gesonderter „Einzelauftrag“ erteilt, einen Anspruch auf ein bestimmtes Kontingent gibt es nicht. Die bisherige monatliche pauschale Honorarzahlung wurde ersetzt durch Einzelstundenabrechnung. Dies führt aufgrund von Ferienzeiten und Feiertagen zu stark schwankenden Einnahmen und zu langen Phasen, in denen überhaupt kein Geld fließt. Eine Rück­lagenbildung ist angesichts der ohnehin niedrigen Einkünfte häufig schwierig bis unmöglich.
Zwar sagte die Bildungssenatorin in einer Sitzung des Abgeordnetenhauses im September 2013: „Wir werden auf jeden Fall evaluieren. Wir werden uns das in den nächsten Monaten ganz genau anschauen. Und dann werden wir sehen, was passiert.“1 Jedoch: Wie auch immer diese Evaluation ausgesehen haben mag, bei den betroffenen Lehrkräften hat niemand nachgefragt. Der Abschlussbericht des zuständigen Staats­sekretärs lässt nicht den Eindruck aufkommen, dass der Senat Handlungs­bedarf sieht: „Die Honorarregelungen für freiberufliche Musikschullehrerinnen und Musikschullehrer sind für diese Personengruppe vorteilhaft, da sie weit über die Leistungen für andere freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinausgehen.“2
Deshalb haben die Aktiven der Fachgruppe Musik in ver.di Berlin-Brandenburg und die Landes-Lehrervertretung der Berliner Musikschulen e.V. (LBM)3 ihrerseits evaluiert: Die etwa 1600 Honorarkräfte der bezirklichen Berliner Musikschulen wurden im Herbst 2015 schriftlich mittels ­eines halbstandardisierten Fragebogens ­befragt.4 Die Fragen bezogen sich mehrheitlich direkt auf die Auswirkungen der neuen Ausführungsvorschriften; vereinzelt wurden auch Fragen darüber hinaus gestellt, sofern dies zur Beurteilung der ­Ge­samt­situation wesentlich erschien. Die vollstän­dige Auswertung ist auf der Internetseite der Fachgruppe Musik im ver.di-Landesbezirk Berlin-Brandenburg einsehbar. Im Folgenden sind die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst.

Zufriedenheit, Beschäftigungsdauer und Motivationslage

„Sehr zufrieden“ oder „ziemlich zufrieden“ mit ihrer beruflichen Gesamtsituation sind insgesamt 25%, „eher unzufrieden“ oder „sehr unzufrieden“ 75%. Setzt man die Zu­friedenheit mit der beruflichen Situation in Beziehung zur Beschäftigungsdauer, so fällt auf, dass unter den BerufseinsteigerInnen die Unzufriedenheit besonders hoch ist. Unter denjenigen, die weniger als fünf Jahre an einer Berliner Musikschule arbeiten, sind insgesamt 84% „sehr unzufrieden“ oder „eher unzufrieden“ (gegenüber 73% bei den über zwanzig Jahre Beschäftigten). Angesichts eines in die Jahre gekommenen Kollegiums (55% der Lehrkräfte üben ihre Tätigkeit seit mehr als zwanzig Jahren aus) lässt dies nichts Gutes erwarten im Hinblick auf den Gewinn von Nachwuchskräften.
Weiter wurden die KollegInnen befragt, ob sie seit der Einführung der Ausführungsvorschriften vermehrt über berufliche ­Alternativen nachdenken. Die Antworten zeigen eine deutliche Entwicklung: Zwei Drittel aller freiberuflichen Berliner Musikschullehrkräfte denken mittlerweile „öfter“ oder „häufig“ über berufliche Alternativen nach (Grafik 1) – gegenüber einem Drittel vorher.
Gefragt nach ihrer Bereitschaft, sich über die reine Unterrichtstätigkeit hinaus an der Musikschule zu engagieren, gaben die KollegInnen an, dass diese massiv gesunken sei: Zwar ist sie bei 43% immer noch „sehr hoch“ oder „eher hoch“. Aber nur für 5% haben sich die neuen Ausführungsvorschrif­ten in dieser Hinsicht positiv aus­gewirkt. Bei 26% dagegen ist die Bereitschaft „geringfügig“, bei 41% sogar „stark gesunken“ (Grafik 2). Diese Angaben zeigen ein deut­liches Zerstörungspotenzial der neuen Aus­führungsvorschriften im Hinblick auf die Qualität der Musikschularbeit in Berlin.

Einkünfte und Rente

42% der Musikschullehrkräfte leben ausschließlich von dieser Tätigkeit, 58% haben auch (zum Teil aber nur geringe) weitere Einkünfte. Einnahmen (im Sinne von Betriebseinnahmen; zur Ermittlung eines Bruttoeinkommens sind also noch Betriebsausgaben abzuziehen) von mehr als 20000 Euro erzielen in der Gruppe derer, die ausschließlich von der Musikschularbeit leben, lediglich 29% (Grafik 3).
Die Rentenerwartungen sind durchweg ka­tastrophal. Betrachtet man die Gesamtheit der Befragten, so liegt der Anteil derjenigen, deren Rentenerwartung 800 Euro übersteigt, bei 8% (Grafik 4). Zum Vergleich: Der derzeitige Richtwert, bei dessen Unterschreitung die Deutsche Rentenversicherung dazu rät zu prüfen, ob ein Anspruch auf Grundsicherung besteht, liegt bei 789 Euro.
Die Entwicklung der Einnahmen im Jahr 2014 ist bei den KollegInnen nach der Um­stellung auf die Einzelstundenabrechnung unterschiedlich verlaufen, wobei negative Entwicklungen häufiger sind als positive. Sehr grob kann man bei einem Drittel der Befragten von einer positiven Entwicklung, bei einem Drittel von Stagnation und bei einem Drittel von negativer Entwicklung sprechen (Grafik 5).

Honorierung „Sonstiger ­Tätigkeiten“

Mit dem Unterrichtshonorar sind die Unterrichtserteilung „sowie die hierfür notwendigen Vor- und Nacharbeiten (z. B. Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Vorbereitung und Aufräumen des Unterrichtsraumes, Beschaffung von Unterrichts­materialien)“5 abgegolten. Für sogenannte „Sonstige Tätigkeiten“ ist ein Honorar in Höhe von ca. 11 Euro/45 Minuten vorgesehen. Es kann aber nicht jede Lehrkraft einfach tun, was aus ihrer Sicht im Rahmen qualitativ hochwertiger Arbeit zu tun wäre – jedenfalls nicht, sofern sie dafür honoriert werden möchte. „Sonstige Tätigkeiten“ müssen im Vorfeld beantragt und dann musikschulseitig beauftragt werden. Andernfalls gibt es kein Geld.
Die detaillierte Nachfrage nach einzelnen Tätigkeiten ergab: Lediglich die Fachbereichskonferenzen bekommt eine Mehrheit (60%) mittlerweile honoriert. Gesamtkonferenzen werden einer Minderheit von 32% honoriert, bei Elterngesprächen ist die Honorierung die Ausnahme (10%). Die Frage, ob abgesehen von Gesamtkonferenzen, Fachbereichskonferenzen und Elterngesprächen andere „Sonstige Tätigkeiten“ honoriert werden, wurde von lediglich 24% mit „ja“ beantwortet. 76% erhalten also kein Honorar für alle anderen „Sonstigen Tätigkeiten“.

Bürokratie und Verwaltung

Diesbezüglich fällt das Urteil vernichtend aus: Fast drei Viertel der Musikschullehrkräfte bemerken stark negative Auswirkungen auf die für sie wichtigen Verwaltungsabläufe durch die Einführung der neuen Ausführungsvorschriften und die damit einhergehende Umstellung auf die Einzelstundenabrechnung (Grafik 6).
Hierbei ist der eigene monatliche Zeitaufwand für die – nicht honorierte – Erstellung des Leistungsnachweises (der sich bei 49% auf 30 bis 60 Minuten beläuft, bei immerhin 10% aber über zwei Stunden liegt) nur ein Problem unter vielen. Hinzu kommen häufig fehlerhafte und/oder unverständliche Honorarabrechnungen, verspätete Honorarzahlungen (nur 22% der KollegInnen gaben an, ihr Honorar immer pünktlich zu erhalten), verspätete oder gar nicht funktionierende Vertragsänderungen und Schülervermittlungen, Kommunika­tionsprobleme mit nicht oder nur schwer erreichbaren Verwaltungsmitarbeitern und Fachgruppenleitern, allgemein klimavergiftender Stress infolge Überlastung der Funktionsträger.

O-Töne zum Berufsbild

Die offene Schlussfrage lautete: „Wenn Sie möchten, beschreiben Sie abschließend, was Ihnen am Beruf des Musikschullehrers besonders wichtig ist.“ Sie wurde von gut der Hälfte der Befragten beantwortet. Hin­sichtlich einer systematischeren Auswertung der teils sehr umfangreichen Texte sei auf die vollständige Umfrageauswertung verwiesen.6 Im Folgenden sollen die Betroffenen selbst zu Wort kommen.
– „Freude an Musik vermitteln. Kulturgut weitergeben. Kinder stärken, indem sie mer­ken, was sie können. Positive Gemeinsamkeitserlebnisse schaffen durch gemeinsames Musizieren. Aufzeigen und Erleben des Zu­sammenhangs von eigenem Beitrag/Leistung und Erfolg.“
– „Der Instrumentalunterricht deckt viele Lernbereiche ab, die in der Schule nicht oder nur unzureichend gefördert werden. Ich halte ihn insbesondere in einer Zeit, in der die Schulen sich zu einem großen Teil auf Auswendiglernen und spröde Logik konzentrieren, für einen unverzichtbar wichtigen Bestandteil der Bildung unserer zukünftigen Gesellschaft. Dazu beizutragen, ist mir wichtig.“
– „Mir ist der Gedanke Musikschule nach wie vor wichtig, deswegen bin ich auch immer noch da und engagiere mich auch als Lehrersprecherin. Das geht allerdings nur, weil mein Mann den Hauptanteil unseres Einkommens verdient. Ich liebe die pädagogische Arbeit und die jahrelange persönliche Verantwortung, die Samen zum Keimen zu bringen, schätze auch die Möglichkeit, mit Kollegen zusammen Dinge auf die Beine zu stellen.“
– „Um meinen Lebensunterhalt angemessen bestreiten zu können, bin ich darauf angewiesen, sehr viel zu arbeiten. Um beruflich fortzukommen, würde ich mich gerne öfter fortbilden, dazu fehlt mir aber oft die Kraft… Ich bin 55 Jahre alt und mit der beruflichen Situation plagen mich schon erhebliche existenzielle Sorgen, die ich früher nicht in diesem Ausmaß wahrgenommen habe. Manche Aktivitäten ha­be ich inzwischen aufgegeben, so gestalte ich die Schülervorspiele einfacher als früher, weil mir zur Vorbereitung die Zeit fehlt. Besondere Ängste plagen mich, gesund zu bleiben. Zwar bin ich relativ fit, jedoch wä­re es schrecklich, irgendwann schwer zu er­kranken, allein aus Existenzgründen. Schon jetzt versuche ich, immer zu ar­beiten, auch wenn ich nicht ganz gesund bin.“

Schlussbetrachtung

Angesichts dieser Ergebnisse darf stark bezweifelt werden, dass die Behauptung aus dem Leistungs- und Qualitätsentwicklungsbericht der Senatsverwaltung7 haltbar ist, der bundesweit einmalig hohe Grad der Unterrichtsleistung durch frei­berufliche Lehrkräfte stelle für die eigentliche Unterrichtserteilung und deren Qualität kein messbares Problem dar.
Vielmehr raubt die vermehrte Belastung mit fachfremden Beschäftigungen neben zeitlichen Ressourcen auch psychische Kräfte, die für die inhaltliche Arbeit notwendig wären. Die Umstellung auf Zahlung nach Leistungsnachweis vergrößert die existenzielle Unsicherheit massiv. Dies befördert die Abwanderung von Lehrkräften in andere Tätigkeitsfelder. Das vielfach erlebte Missverhältnis zwischen eigener Leistung und Entlohnung führt in innere Emigration oder in Gratifikationskrisen. All das hat selbstverständlich Einfluss auf die Qualität der Arbeit.
Eine ambitionierte Musikschulpolitik, welche die Musikschule nicht nur in Sonntagsreden lobt, muss Arbeitsbedingungen bieten, die den Lehrenden ein existenz­sicherndes Einkommen ermöglichen.8 Nur dann können diese dauerhaft qualitativ hochwertige Arbeit leisten. Sie muss (genau entgegengesetzt zur Zielrichtung der Ausführungsvorschriften) alles tun, um die Integration des gesamten Personals in die jeweilige Musikschule zu fördern, denn gute Musikschularbeit lebt vom kollegialen, engagierten und diskursiven Miteinander vieler kreativer Menschen und braucht eine kompetente Steuerung. Deshalb bedarf es eines grundlegenden Umdenkens, will das Land Berlin sich nicht von professionellen Lehrkräften und damit vom Ziel einer tatsächlichen musikalischen Bildung verabschieden. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse als zugrunde liegendes Geschäftsmodell für das Betreiben einer öffentlichen Bildungseinrichtung sind nicht hinnehmbar.

1 vgl. Plenarprotokoll der 35. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 12. September 2013, S. 3440.
2 vgl. Arbeitsbedingungen der Honorarkräfte an Musikschulen und Volkshochschulen – Schluss­bericht – 47. Sitzung des Hauptausschusses vom 6. November 2013.
3 Die Kosten für diese Publikation hat ver.di über­nommen, wofür an dieser Stelle seitens des LBM e.V. ausdrücklich gedankt sei.
4 Es kann allerdings nicht mit letzter Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Gesamtheit vollständig erreicht wurde.
5 vgl. Ausführungsvorschriften über Honorare der Musikschulen (AV Honorare MuS) vom 10. Juli 2012.
6 https://musik.verdi.de/themen/nachrichten/++co++71a17c1a-2260-11e6-b3f8-525400438ccf
7 vgl. Zweiter Leistungs- und Qualitätsentwicklungsbericht Musikschulen, hg. von der Senats­verwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, Dezember 2014, S. 25-27.
8 Die von Senatsseite immer wieder ins Feld ge­führte Argumentation, dass die Berliner Honorare relativ hoch seien, verfängt nicht: Es ist zwar richtig, dass anderswo freie MitarbeiterInnen noch schlechter bezahlt werden. Aber anderswo beträgt die Quote der Freien auch nicht über 90 Prozent. Der derzeitige Honorarsatz liegt bei 22,27 Euro. Die zugrunde liegende Honorarordnung war ursprünglich ein Instrument für die Honorierung von Nebentätigkeiten von Menschen, die hauptberuflich andere Dinge taten. Von einem tatsächlichen Selbstständigen-Honorar kann also nicht die Rede sein. Zudem missachtet das einseitige Argumentieren mit der Honorarhöhe gegebene Schwierigkeiten durch die Rah­menbedingungen, etwa durch Haushaltssperren, Schwierigkeiten im Hinblick auf Raumressourcen u.s.w., die dazu führen, dass nicht in existenz­sicherndem Umfang unterrichtet werden kann.