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Ates-Ünal, Nuray

Verbindung über Verständigung

Interkulturelle Elternarbeit erfordert eine sozialpädagogische ­Perspektive

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 1/2019 , Seite 18

Je mehr die kulturelle Vielfalt in Deutschland zunimmt, desto größer wird die gesellschaftsbildende Bedeutung von Kooperationen mit Eltern mit Migrationshintergrund.1 Die positive Resonanz, die über musikpädagogische bzw. künstlerische Angebote erreicht werden kann, ist unbestritten. Sozialpädagogisch ausgerichtet, trägt interkulturelle Elternarbeit im ­musikpädagogischen Kontext zu mehr Verständigung und damit zu einem gelingenden Zusam­menleben bei.

Vom pädagogischen Blickwinkel aus ist Elternarbeit in der Musikpädagogik kein neues Themenfeld. Sowohl die Notwendigkeit der elterlichen Kooperation für eine erfolgreiche musikalische Bildung der Kinder als auch die Herausforderungen, die mit unterschied­lichen Familienkonstellationen und Lebensstilen einhergehen, sind bekannt. So signa­lisiert bereits das Ausmaß der Verwurzelung musikalischer Fähigkeiten im familiären Kontext, wie relevant das Musizieren für die eigene Biografie werden wird.2 In dem Maße, in dem sich die Zusammensetzung der hiesigen Gesellschaft in Bezug auf Herkunftskulturen der Kinder und Jugendlichen ändert, kommt der Elternarbeit mit Menschen mit Migra­tionshintergrund wachsende Bedeutung zu. Wurden Eltern früher lediglich anhand unterschiedlicher Familienkonstellationen und Erziehungsstile definiert, so gewinnen in der gegenwärtigen Diskussion die kulturellen Unterschiede an Aufmerksamkeit.
Dies betrifft den Umgang mit einer neuen Sprachvielfalt und setzt sich in der Fähigkeit der pädagogischen Fachkräfte fort, die kulturell teilweise gänzlich fremden Erziehungs- und Bildungsrealitäten von Eltern mit Migrationshintergrund zu erkennen. Die Frage, wie Musikschulunterricht dieser Vielfalt in all ihrer Widersprüchlichkeit und Konfliktträchtigkeit begegnen kann, mündet damit in der prak­tischen Zielsetzung, eine Verständigungs- und Partizipationskultur für alle Eltern – unabhängig von ihrer nationalen, ethnischen und soziokulturellen Zugehörigkeit – zu ermöglichen.

Elternarbeit „zwi­schen“ den Kulturen?

Bereits die definitorische Annäherung an interkulturelle Elternarbeit macht deutlich, wie komplex die Anforderungen sind, wenn Elternarbeit einer professionellen sozialpädagogischen Praxis genügen will. Die Fragen „Was verstehen Sie unter Kultur?“ oder „Was macht für Sie eine gelungene Elternarbeit aus?“ verdeutlichen die semantische Elasti­zität der Begriffe; denn die Fragen zu Kultur und Elternarbeit können von der eigenen kulturellen Identität und der persönlichen Erziehungsbiografie her ganz unterschiedlich beantwortet werden.
Entsprechend ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den einzelnen Facetten und Schwerpunkten dieser Thematik sehr breit gefächert. Für das Verständnis von Interkulturalität ist die Abgrenzung zu Multikulturalität und Transkulturalität wichtig. Allen drei Perspektiven ist gemeinsam, dass sie versuchen, das gesellschaftliche Miteinan­der modellhaft zu beschreiben, wobei der ref­lektierte, bewusste Umgang mit der Vielfalt im Vordergrund steht.3 Der Begriff der Interkulturalität allerdings fokussiert vorrangig auf die Gemeinsamkeiten der unterschied­lichen kulturellen Gruppierungen. Der Leit­gedanke ist, dass Menschen immer eine gemeinsame Schnittmenge haben, in welcher Werte, Normen und Lebensstile sich decken, und Interaktionssettings die Möglichkeit bieten, diese Gemeinsamkeiten aufzudecken.
Für die sozialpädagogische Handlungspraxis steht gegenwärtig primär ein konstruktiver Kulturbegriff im Vordergrund. Bei diesem konstruktiven Ansatz fungiert die Kindheit als produktive und selektiv-verändernde Aneignung vorgefundener Kultureinflüsse anstatt der Tradierung von Kultur (Enkultura­tion).4 Damit werden gerade frühkindliche kulturelle Räume für Kinder und Jugendliche ein Ort, wo sie die eigene Kultur in Wechselwirkung mit fremden kulturellen Einflüssen dynamisch gestalten und ein drittes Gemeinsames gestalten können.

1 Der Beitrag fokussiert die Zielgruppe interkultureller Elternarbeit auf Menschen mit Migrationshintergrund. Dazu zählen (im weiteren Sinn) nach der Definition im Mikrozensus „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie ­alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“. Statistisches Bundesamt: Fachserie 1, Reihe 2.2 Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, ­Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Textteil: Methodische Bemerkungen mit Übersicht über die Ergebnisse, Wiesbaden 2013.
2 vgl. Wolfgang Lessing: „Eltern als Partner? Perspektiven elternpädagogischer Arbeit an Musikschulen in Zeiten von JeKi, Klassenmusizieren und Ganztagsschule“, in: Barbara Busch (Hg.): Spielraum Instrument. Neue Studientexte zur Instrumentalpädagogik, Augsburg 2014, S. 117-142.
3 Eine differenzierte Ausführung der begrifflichen Bestimmung von Kultur findet sich bei Christel Adick: „Inter-, multi-, transkulturell: Über die Mühen der Begriffsarbeit in kulturübergreifenden Forschungsprozessen“, in: Alfred Hirsch/Ronald Kurt (Hg.): Interkultur – Jugendkultur. Bildung neu verstehen, Wiesbaden 2010, S. 105-133.
4 vgl. ebd., S. 111.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2019.