Heiden, Marianne

Videoreflexion im künstlerischen ­Einzelunterricht an Hochschulen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Waxmann, Münster 2018
erschienen in: üben & musizieren 1/2019 , Seite 55

Beim künstlerischen Einzelunter­richt handelt es sich um ein sehr individuelles und sensibles Beziehungsgeflecht zwischen Lehrenden und Studierenden, das sich einer empirischen Unter­suchung nicht ohne Weiteres erschließt und daher von der Forschung bisher eher vernachlässigt wurde. Umso verdienstvoller ist es, dass sich Marianne Heiden in ihrer Dissertation diesem Problem aus der anwendungsbezogenen Bildungsforschung unter Verwendung videogestützter Reflexion zuwendet. Dabei untersucht sie in einer Langzeitstudie 14 Fälle auf der Grundlage von Video-Aufzeichnungen einzelner Unterrichtsstunden oder relevanter Ausschnitte, die dann reflektierend kommentiert und in Interviews mit Lehrenden und Studierenden analytisch aufgearbeitet werden.
Das Feedback soll dazu beitragen, die Eigenwahrnehmung und Selbsteinschätzung zu schärfen, indem die Innenperspektive durch die Außenperspektive des Videos ergänzt wird. Zugleich soll die gemeinsame Reflexion von Lehrperson und SchülerIn zur aktiven Mitgestaltung am Unterrichtsgeschehen anregen. Die Teilnehmenden richten dabei ihre Aufmerksamkeit eher ganzheitlich (global) auf das Gesamtgeschehen oder analytisch (fokal) auf Details wie Spieltechnik oder Motorik.
Theoretisch beruht der Ansatz der Videoreflexion auf Michael Polan­yis Vorstellung von der handlungsleitenden tacit knowledge (implizites Wissen) und Donald Schöns Konzept der reflektierenden Handlungsforschung, wonach das Tun selbst schon eine Form der Reflexion darstellt.
Der hier vorgestellte methodische Ansatz ist pädagogisch durchaus interessant und enthält durch den Einbezug neuer Medien auch innovatives Potenzial. Daher wäre der Möglichkeit, die Videoreflexion als methodisches Mittel im Einzelunterricht zu nutzen, eine praktikablere Vermittlungsform zu wünschen, als es eine Dissertation leisten kann, deren theoretische Begründungs­zusammenhänge und die Überlastung mit Literaturverweisen die Lesbarkeit erschweren.
Allerdings ist zu fragen, inwieweit die hier vorgestellte Methode wirklich das interaktive Unterrichtsgeschehen zwischen Leh­renden und Studierenden erfassen kann; denn der Fokus liegt eindeutig auf den Studierenden, die Wirkungen auf ihr Übeverhalten und ihre Selbstwahrnehmung konstatieren, während unterschiedliche Interaktionsmuster im Unterrichtsgeschehen kaum aufgedeckt werden. Die aus­führlich dokumentierten Ergebnisse beruhen häufig auf Selbsteinschätzungen und Einzelbeobachtungen statt auf objektivierbaren Messergebnissen. So bleibt offen, inwieweit die Videoreflexion als methodisches Mittel zur Verbesserung des herkömmlichen Unterrichts beitragen kann.
Wer sich in die Grundlagen der Videoreflexion und deren theoretische Grundlagen einarbeiten möchte, dem bietet diese Dissertation mit ihrem reichhaltigen Material eine solide Grundlage.
Wilfried Gruhn